Implied Violence mit heimischem Gaststar
Körperflüssigkeiten beim Donaufestival
Für Vollständigkeitsfanatiker ist das Donaufestival ein Alptraum: Während Implied Violence (mit Gaststar Hermes Phettberg) ihre Körperflüssigkeiten im Stadtsaal verteilen, lassen die Fuck Buttons die Mauern der Messehalle erbeben. Da heißt's Ruhe bewahren. Man kann nicht alles haben.
26. April 2017, 12:23
Das Motto des Donaufestivals lautet "Failed Revolutions". Ja zum Scheitern haben auch Ja, Panik gesagt, die einen Teil ihres Publikums am ersten Donaufestival-Tag mit einer reinen Spoken-Word-Performance enttäuscht haben.
Historische Aufführungspraxis
Allen Erwartungen gerecht wurden Xiu Xiu und ihre Kollegen Deerhoof am Tag Zwei. Nachschaffendes war für ihren gemeinsamen Auftritt angekündigt: Joy Divisions legendäres Debütalbum "Unknown Pleasures" von 1979. Hohe Interpretationskunst ist also im avancierten Pop-Bereich angekommen. Alte Musik, neu interpretiert, kraftstrotzendes Material für 2010.
Deerhoof-Schlagzeuger Greg Saunier war die treibende Kraft auf der Bühne. Im Vergleich zu Ian Curtis klang Sänger Jamie Stewart weniger geheimnisvoll, dafür um einiges aufgekratzter. Das passte auch zum rohen Sound dieser Neuinterpretation. Experiment gelungen.
Intelligente Party-Musik
Dan Deacon landete - von Slowenien kommend - verspätet und verschwitzt in Krems. Die überdimensionale Brille des Amerikaners geriet ordentlich ins Rutschen. Ein gewissenhafter Soundcheck und dann schnell zum "Zeit-Ton"-Interview. Deacon erzählt, dass er mittlerweile aus der Künstler-Kommune Wham City in Baltimore ausgezogen ist, keine Angst vorm Altwerden hat, ein neues Leben beginnt und Orchestermusik kreieren wird. Deacon ist klassisch ausgebildeter Komponist - und das merkt man. Körperliche Ekstase und Freude an gefinkelt produzierten Tracks werden bei seinen Live-Performances zu einer untrennbaren Einheit. Wer fühlen will, muss hören.
Eine Einheit soll auch das Publikum werden. Deacon steht mit seinem Equipment nicht auf der Bühne, sondern im Kreis der Zuhörer, Mittänzer. Lässt sie Gymnastikübungen machen. Schaufelt Platz in der Mitte des Parketts - für einen improvisierten Tanzwettbewerb. Kommt einer blöd, macht er genau das richtige. Beim Donaufestival-Auftritt schleudert ein Besucher in Rufweite unablässig das F-word in Deacons Richtung. Wie ein Karatekünstler nutzt Deacon die Energie des Gegners, holt den Rabauken ans Mikro und lässt ihn hineingröhlen. Schnell ein Schalter am Vocoder umgelegt und schon klingt der Rüpel wie Micky Maus. Touché.
Blutegel auf der Bühne
Die amerikanische Gruppe Implied Violence hat sich im Stadtsaal eingenistet. In einer Ecke sitzt Hermes Phettberg und wird mit Honig übergossen. Einige Darsteller müssen schon den ganzen Nachmittag über im Bühnenbild stehen und ständig auf und nieder hüpfen. An die Grenzen der Belastbarkeit geht auch die Performance am Abend. Die Schauspieler setzten sich Blutegel an, hinterlassen das abgezapfte Blut und andere Körperflüssigkeiten auf ihren Mitspielerinnen und Mitspielern. Als stiller Gastperformer berührt Hermes Phettberg durch seine fragile Präsenz.
Ganz und gar nicht fragil hämmern unterdessen die Fuck Buttons in der großen Halle große, simple Beats unter die Menge. Musikalische Schwundstufen, durch Effektgeräte gejagt, lassen den Hörer nicht nur mit den Ohren schlackern. Überzeugungskraft in physischen Dimensionen.
Service
Donaufestival 2010, 28. April bis 8. Mai 2010, mehrere Veranstaltungsorte in Krems,
Ö1 Club-Mitglieder bekommen ermäßigten Eintritt (zehn Prozent).
Donaufestival