Amtsstube im weissen haus, 1010 Wien

Asylabwehramt - dem Menschen zum Schutze

Aktenordner im Wandschrank, Stapel mit zu bearbeitenden Formularen, eine Filterkaffeemaschine, an der Wand eine Collage aus Urlaubspostkarten, Stempelkissen und Stehkalender am Schreibtisch: eine typische Amtsstube, mitten in der Innenstadt.

"Absurder als die Realität - das gibt es nicht."

Die Künstlerin lizvlx erklärt das Verhältnis von Realität und Inszenierung in den Arbeiten von ubermorgen.com.

13.621 dokumentierte Todesfälle

"Asylabwehramt" steht auf dem Türschild des dreiräumigen Büros, das man über ein mit Verordnungen ausgepflastertes Wartezimmer betritt. Unter den Akten und Dokumenten, die aufliegen, ist etwa das "EU-Fingerabdruckblatt", ein "Auszug aus dem Kärntner Grundversorgungsgesetz" oder auch die "Staatendokumentationsbeirat-Verordnung".

An der Wand hinter dem Cheftisch hängt eine Liste mit 13.621 dokumentierten Todesfällen von Flüchtlingen, die auf dem Weg in "die Festung Europa" umgekommen sind. Das Asylabwehramt, so erfährt man auf der Heimseite asylabwehramt.at, ist zuständig für:

"Prävention, Asylgesuchstellung im Ausland, Anonymisierung des Asylverfahrens, Aufklärung des Schlepperwesens, Immigrationsdiversion, Abwehr von überzähligen Flüchtlingen und AsylbewerberInnen, Selektion (Wirtschaftsflüchtlinge, Einbürgerungen), geheime Abschiebungen (kontrollierte Ausreisen), Migrationsanalysen, Automatisierung des Asylwesens, Volksschutz, Vermeidung von Retraumatisierung und den Ausbau bürokratischer Hindernisse."

Fremdenrecht und Menschenrecht

Das Asylabwehramt ist eine Installation der aktionistischen Medienkunst-Gruppe ubermorgen.com im Kunstraum "das weisse haus" in der Wiener Innenstadt. Mit der Einrichtung einer realitätsgetreuen Amtsstube, reagieren die Künstler auf die Vergangenheit des Gebäudes Wollzeile 1, in dem früher Abteilungen des Bundeskanzleramts und des Finanzministeriums untergebracht waren.

Sie reagieren aber auch auf das europäische und österreichische Asylwesen, dessen Rechtslage kompliziert und ständigen Änderungen unterworfen ist. Das macht es selbst für Juristen schwer durchschaubar und hat auch zur Folge, dass viele Amtshandlungen gegenüber Asylsuchenden im rechtsfreien Raum ausgeführt werden.

Die verschärften Fremdengesetze stehen zudem im Konflikt mit den Menschenrechtskonventionen - das wird angesichts der vom Verfassungsgerichtshof bestätigten Ausweisung der österreichischen Familie Zogaj in den Kosovo kritisiert, und das will auch der Weltflüchtlingstag am 20. Juni 2010 ins öffentliche Bewusstsein rufen.

Verdichtung der absurden Realität

Wer denkt, dass die Verordnungen, die im Asylabwehramt aufliegen, erfunden sind, dass die Krankenberichte von zweijährigen Flüchtlingskindern oder die gerichtlichen Ablehnungsbegründungen einzelner Asylanträge gefälscht sind, der irrt - es handelt sich um reale Dokumente und wahre Geschichten.

Das Asylabwehramt ist eine drastische Vorführung realer Umstände, die für Menschen über Zukunft und Leben entscheiden. Die Künstler sind zu dem Schluss gekommen: die Realität zu überzeichnen, um eine künstlerische Aussage zu verdeutlichen, sei in diesem Fall gar nicht möglich, so lizvlx von ubermorgen.com: "Wir arbeiten gerne mit copy & paste. Uns interessiert, etwas zu kopieren, was da ist, es leicht zu modifizieren, zu verdichten und zu spiegeln, um hier auch die Grenzen zwischen echt und fake verschwinden zu lassen. Obwohl sie vielleicht gar nicht da waren."

Der "Festung Europa" fehlt die Antwort

Ubermorgen.com haben sich eingehend mit dem Asylwesen beschäftigt, haben Ansuchen und negative Bescheide gesichtet, Sachlagen studiert und Zahlen verglichen. "Eine Frage stellt sich: Wofür ist das ganze gut?", sagt lizvlx. Es ist eine Frage, auf die Europa keine Antwort gibt.

"Obwohl ich durchaus amerikakritisch bin - die USA definieren sich zumindest nach wie vor als Einwanderungsland, und Europa tut dies nicht. 'Wirtschaftsflüchtling' ist in Europa ein negatives Wort, und in Amerika würde man sagen, das ist eine ganz tolle Sache, weil das ist ein williger Immigrant", so lizvlx. "Es ergibt keinen Sinn, wenn man immer darüber motzt, dass die Geburtenrate zu niedrig ist und man zu wenige junge Leute hat. Und gleichzeitig treibt man einen riesigen, unverständlichen Aufwand um zu verhindern, dass neue Leute ins Land kommen."

Service

Ausstellung "Asylabwehramt", bis 17. Juli 2010 im weissen haus

Asylabwehramt (AAbA)
das weisse haus
http://www.ubermorgen.com/2010/ubermorgen.com
UNO Flüchtlingshilfe - Weltflüchtlingstag