Die Hoffnung auf bessere Bedingungen
Vincent und Cletus aus Nigeria
Zwei junge Nigerianer kamen getrennt als Jugendliche vor acht Jahren nach Österreich, wurden Ende April 2010 während eines Fußballspiels des Vereins FC Sans Papiers festgenommen und Anfang Mai abgeschoben. Sie leben jetzt in den Slums von Lagos und haben Angst.
8. April 2017, 21:58
Zuflucht bei Freunden
"Ich verlasse das Haus während des Tages nicht, ich gehe erst hinaus, wenn es dunkel wird", erzählt Cletus. Der 25-jährige Nigerianer möchte beim Vornamen genannt werden. Cletus hat Angst, erkannt zu werden: Er ist homosexuell. Seine Familie hat davon erfahren, deshalb traut er sich nicht nach Hause, sondern hat Unterschlupf bei Freunden in einem Slum außerhalb von Lagos - der größten Stadt Nigerias - gefunden. "Homosexualität ist ein Tabu in Nigeria. Ich komme aus dem Norden, dort bringen sie dich um, wenn du schwul bist", erklärt Cletus.
Homosexuelle Handlungen werden in Nigeria mit bis zu 14 Jahren Gefängnis bestraft, in den zwölf nördlichen Bundesstaaten gilt das Scharia-Strafrecht, also das islamische Recht, und da steht Tod durch Steinigung auf Homosexualität, heißt es seitens der Amnesty-International-Koordinationsgruppe gegen die Todesstrafe.
Korruption und Unterversorgung
Cletus hat Angst:"Die Polizei ist korrupt und gewalttätig, es gibt hier keine Menschenrechte." Der Schutz von Leib und Leben der Bürger vor Willkürhandlungen durch Vertreter der Staatsmacht ist nicht verlässlich gesichert, warnt das Auswärtige Amt Deutschland. Das hohe Maß an Korruption wirkt sich negativ auf die Wahrung der Menschenrechte aus.
Auch wirtschaftlich ist die Lage in Nigeria trist, schreibt das United Nations Office on Drugs and Crime: In dem bevölkerungsreichsten Land Afrikas leben 150 Millionen Menschen. Auf 100.000 Menschen kommen 21 Ärzte, die Kindersterblichkeit liegt bei zehn Prozent, die Lebenserwartung bei 50 Jahren, fünf Prozent der Einwohner leben mit HIV/Aids, 40 Prozent der Erwachsenen sind Analphabeten.
Eine Arbeit zu finden sei sehr schwierig, erzählt Cletus. Vor allem für jemanden, der den Großteil seines erwachsenen Lebens nicht in Nigeria verbracht hat. Acht Jahre war er in Österreich, ist im Alter von 17 Jahren nach Wien gekommen. Er hat lange in Asylheimen gelebt, Straßenzeitungen verkauft und war Kapitän des Fußballvereins FC Sans Papiers.
Von Hernals nach Lagos
Ende April 2010 umstellten mehr als 80 Beamte die Marswiese in Hernals, den Trainingsplatz des FC Sans Papiers. Cletus und auch der 21-jährige Vincent wurden festgenommen und am 4. Mai 2010 nach Lagos geflogen. In dem Flugzeug von Frontex, der EU-Agentur für operative Zusammenarbeit an den Außengrenzen, saßen nigerianische Flüchtlinge aus Schweden, Deutschland, der Slowakei und Griechenland.
Vincent war genauso wie Cletus begeisterter Fußballer. Nach fünf Jahren Hoffen auf Asyl in Österreich ist er nun obdachlos in Nigeria. Bei seiner Ankunft in Nigeria nahm ihm die Polizei seinen Pass und sein letztes Geld, 200 Euro, ab. "Gestern habe ich auf der Straße im Regen geschlafen, heute hat mich ein Bekannter eingeladen, bei ihm zu übernachten. Ich habe nichts in Nigeria, mein ganzes Leben, meine Zukunft ist in Österreich. Ich habe Schlafstörungen und meine Medikamente fehlen mir", erzählt Vincent.
Vincent ist mit 16 Jahren allein nach Österreich gekommen, hat keine Eltern mehr und stand drei Mal vor der Abschiebung. Er schluckte täglich Psychopharmaka gegen seine Depressionen. Das einzige, was ihm noch Halt gibt, sind die Telefonate mit seinen Freunden und Bekannten in Wien und vor allem die Gespräche mit seiner Freundin: Ein Jahr waren sie in Wien zusammen, bevor er abgeschoben wurde. "Ich habe meine Familie in Wien - die, die sich um mich sorgen, die betrachte ich als meine Familie", sagt Vincent.
Private Hilfe und Unterstützung
In Wien haben sich fünf Menschen zusammengetan, um Vincent und Cletus zu unterstützen. Unter der Leitung von Ursula Omoregie, die den Verein Schmetterling - ein Verein, der Flüchtlingen Lebenshilfe bietet - versuchen sie zu helfen.
Die Psychotherapeutin Gabriele Kofler hat Vincent einmal pro Woche getroffen. Sie wollte ihn therapieren, hat aber schnell gemerkt, dass das in seinem Zustand nicht möglich war: "Er hat ständig in Hochspannung und Unsicherheit gelebt. Er war in einer Warteposition, zum Stillstand gezwungen und deshalb von seinen Gefühlen abgeschnitten." Dennoch trafen sie sich, um zu reden, und die Therapeutin lud ihn und seine Freundin zum Essen ein. "Er war wie ein Sohn für mich, ich habe zwei Kinder in seinem Alter", erzählt sie.
Gabriele Kofler übernimmt auch die Kosten, um seinen Asylbescheid beim Verfassungsgerichtshof anzufechten, und schickt ihm Geld. Als sie ihn das letzte Mal gesehen hat, war er in Schubhaft. Sie saß in einer kleinen Koje mit einem Telefonhörer in der Hand, hörte seine zittrige Stimme und sah die Angst in seinen Augen. Noch bevor er abgeschoben wurde, hat Vincent versucht, sich die Pulsadern aufzuschneiden. Er wurde rechtzeitig von einem Beamten gefunden.
Was passierte in der Schubhaft?
Der 25-Jährige Cletus erhebt schwere Vorwürfe gegen die Fremdenpolizei: "Die erste Nacht, musste ich nackt in einer Zelle in der Roßauer Lände verbringen. Ich habe geschrien, und sie haben mich ausgezogen. Ich habe gesagt: Mir ist kalt, ich brauch etwas um mich zu bedecken, aber sie haben es abgelehnt. Erst am nächsten Tag half mir ein Beamter, er hat mich in einen anderen Raum gebracht, hat mir Kleidung und eine Decke gegeben. Ich durfte vier Tage lang nicht duschen, das ist Folter, sie haben mich psychisch gefoltert."
Der Pressesprecher der Bundespolizeidirektion Wien Manfred Reinthaler weist diese Vorwürfe zurück. Cletus sei die Kleidung nicht abgenommen worden. Zum Duschen hätte er jeden zweiten Tag und einmal vor der Abschiebung die Möglichkeit gehabt. Außerdem habe Cletus während seiner Schubhaft keine Beschwerde eingebracht.
"Das System kriminalisiert Asylwerber"
In Nigeria überlebt Cletus mit dem Geld, dass ihm Freunde aus Wien schicken. Er, der jahrelang in Asylheimen wohnte, Kapitän der Fußballmannschaft FC Sans Papiers war, Straßenzeitungen verkaufte, hat seinen Traum, Politikwissenschaften zu studieren, noch nicht aufgegeben und hofft auf bessere Bedingungen für Asylwerber in Österreich.
"Diese Menschen sollten nicht jahrelang in Asylheimen herumsitzen, man müsste ihnen die Möglichkeit geben, zu erblühen", sagt Cletus. "Das System kriminalisiert Asylwerber. Wenn man die Möglichkeit hat, zu arbeiten, eine Ausbildung zu machen, wenn deine Talente gefördert werden, dann kannst du der Gesellschaft dienen - und das ist der Weg, um das Beste aus allen herauszuholen."
Service
Verein Schmetterling - Lebenshilfe für Flüchtlinge, Ursula Omoregie, Tel: 0699 1 070 1340 und 01/924 25 60
E-Mail
Verein Schmetterling
"Abschiebung ist nicht nur ein Wort", Informationsveranstaltung Donnerstag, 10. Juni 2010, 19:00 Uhr, Amerlinghaus, Wien
Spenden für Vincent und Cletus: Erste Bank Österreich Bankleitzahl 20111 Konto Nummer 287 166 030 00
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