Illegal für zehn Tage

Schwellenland bei den Wiener Festwochen

Donnerstag, der 3. Juni, war für ein paar Hundert Menschen der Tag ihrer Ausbürgerung - und zwar der freiwilligen. Als Teilnehmer/innen des Transmedia Games "Schwellenland" im Rahmen der Wiener Festwochen haben sie ihre Ausweise, ihre E-Card und ihre Bankomatkarte versiegeln lassen und kämpfen zehn Tage lang unter einer neuen Identität um ihre Einbürgerung.

Bei Schwellenland müssen die Mitspieler/innen in ganz Wien und über das Internet Aufgaben lösen; unterstützt werden sie dabei von Menschen, die tatsächlich als Illegale oder Flüchtlinge in Wien leben.

Morgenjournal, 01.06.2010

Bei "Schwellenland" geht es "nicht um das Nachspielen der existenziellen Situation von Asylwerbern", betont Regisseur Jörg Lukas Matthaei, der eine Romantisierung des "freien Vagabundenlebens" als kitschig und zynisch empfände. Immerhin seien Flüchtlinge nicht freiwillig ohne Ausweis, Geld und Krankenversicherung in einer fremden Stadt und könnten im Gegensatz zu den "Schwellenland"-Teilnehmern auch nicht nach zehn Tagen wieder in ein relativ gesichertes Leben zurückkehren. "Es geht nicht darum zu sagen, das ist toll, sondern darum, den Verlust zu erleben", sagt der 40-jährige Berliner.

Expertise der Flüchtlinge

Vielmehr soll die "Expertise" jener 25 Flüchtlinge sichtbar gemacht werden, die als "Trainer" oder "Schiedsrichter" an dem Rollenspiel teilnehmen. Diese haben ein bestimmtes Wissen und Fähigkeiten, sich in einer fremden Gesellschaft durchzuschlagen. Mit ihnen gemeinsam hat das fünfköpfige Team um Matthaei auch die Aufgaben entwickelt, die die "ausgebürgerten" Wiener bewältigen müssen. "Das klassische Bild vom Flüchtling als Täter oder Opfer, vom Bedürftigen oder Bittsteller wird dabei unterlaufen. Sie haben eine Möglichkeit als Individuum aufzutreten, die sie sonst im öffentlichen Bild nicht haben", beschreibt der Regisseur den Nutzen für die teilnehmenden Migranten.

Zehn Tage lang helfen diese "Experten" den Spielern, an Nahrung und Geld zu kommen oder zeigen ihnen "sichere" Orte, zu denen sie sonst keinen Zugang hätten. Und sie haben Macht: Sie vergeben Punkte für Aufgaben oder ziehen sie wieder ab. Machen Spieler zu viele Fehler, scheiden sie aus. Sie werden von den wahren Flüchtlingen "nach Hause abgeschoben".

Online-Organisation

Welche Aufgaben die Spieler/innen lösen müssen und was sich sonst gerade in "Schwellenland" tut, wird mehrmals täglich per Mail oder SMS bekanntgegeben. Dazu meldet man sich online an. Ob und wie häufig man "live" oder im Internet teilnimmt, bleibt jedem selbst überlassen. Durch das Spiel, meint Matthaei, ändert sich der Blick auf die Stadt. "Du musst dir in der Stadt Hilfe suchen, aber du weißt nie, ob die Menschen um dich herum Helfer oder Verfolger sind." Er wünscht sich für die Teilnehmer eine Art "positive Paranoia", weil sie nicht mehr wissen, wer mitspielt und wer nicht.

Ein dreiviertel Jahr haben Matthaei und seine Mitarbeiter/innen in Wien und Berlin das Auftragsstück für die "Into the City"-Reihe der Festwochen vorbereitet, über NGOs Kontakte mit den "Trainern" und "Schiedsrichtern" geknüpft, Aufgaben erstellt und Spielorte in ganz Wien festgelegt. Derzeit haben sich 250 Personen für das Spiel angemeldet. Laut Matthaei kommen täglich neue dazu - und warten auf ihre Ausbürgerung.

oe1.ORF.at berichtet laufend aus Schwellenland.

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