Inspiriert von Wolfgang Koeppen
Franz Schuh über die Liebe
Die Welt ist dank der Segnungen globaler Vernetzung bereits im Westentaschenformat zu haben. Doch der Welt-Bürger scheint sich in all dem virtuellen Überangebot selbst zu verlieren - trotz umfassender Übersicht fehlt der Durchblick.
27. April 2017, 15:40
Verändert man jedoch den Blickwinkel, kann unvermutet Großes im Kleinen entdeckt werden: ein Bild wird plötzlich mit ganz anderen Augen gesehen, in einem Buch werden neue Seiten entdeckt, Musik wird mit anderen Ohren gehört. Der Philosoph Franz Schuh gibt einen Einblick in sein neuestes Buch "Der Krückenkaktus" und erläutert seine Ansichten über die Liebe.
Franz Schuh, Philosoph und Essayist
Mit einem Mann zusammensitzen, der schweigt
Die "Erfindung" Liebe
"Die Grundfrage ist, dass es verschiedene Arten von Liebe gibt - und verschiedene Varianten von Schamgefühlen, nicht alle Arten von Liebe als Liebe zu bezeichnen."
"Die Liebe ist ganz gewiss eine Erfindung", schreibt Franz Schuh in seinem Buch "Der Krückenkaktus. Erinnerungen an die Liebe, die Kunst und den Tod". Und er meint damit die klischeehafte Form der Liebe, wie sie etwa in Romanen und Filmen vorkommt. Er selbst, so Schuh, möchte von einer Liebe berichten, die fernab von Romantik und vordergründiger Erotik zwischen Mann und Frau existiert. Er spricht von seiner lebenslangen Zuneigung zum Schriftsteller Wolfgang Koeppen. Das im Grunde unspektakuläre Zusammentreffen mit dem 1996 verstorbenen deutschen Autor in München bezeichnet Schuh im "Krückenkaktus" als "Sternstunde" seines Lebens.
"Es waren simpel diese einfachen Augenblicke, wo man mit einem Mann zusammensitzt, der schweigt, der einem im Vornherein etwas bedeutet, der wenig spricht und dessen Freundlichkeit sehr skeptisch war. Und ich habe durch dieses Verhalten - was für ein Glück eigentlich!- einiges von der Widersprüchlichkeit des Lebens plötzlich verstanden"
Im Gespräch mit Wolfgang Koeppen musste Franz Schuh sich zunächst einmal von einer Illusion - über die Liebe - verabschieden: "Das erste Buch, das ich von ihm gelesen habe, war 'Eine unglückliche Liebe'; da ist eine Wahrhaftigkeit über die Liebe drin oder eine Lüge, die die Wahrhaftigkeit über die Liebe betrifft. Ich hab ihn gefragt: 'Ich habe als Philosoph gelernt, dass man Liebe nur als erwiderte Liebe als richtige Liebe definieren kann, eine nicht erwiderte ist nur die Hälfte, weniger als das Ganze. Aber als ich Ihr Buch gelesen habe, habe ich gelernt: Auch eine unglückliche Liebe ist eine Liebe!' Doch Koeppen hat mir erklärt: 'Als alter Mann schreibt man so etwas, wenn die Liebe nicht erwidert wird, das ist die Kompensation der realen Enttäuschung'."
Ein Gescheiterter
Mit seiner "Trilogie des Scheiterns" - "Tauben im Gras", "Das Treibhaus" und "Der Tod in Rom" - gelang Wolfgang Koeppen eine Bestandsaufnahme der entstehenden Bundesrepublik in der Nachkriegszeit, und auch in diesen Werken zeichnete der Dichter Widersprüche auf: Einerseits sollte mit der Republik ein Neubeginn geschaffen werden, andererseits mochte man sich nicht von den alten Ideologien lösen, die zum Weltkrieg geführt hatten.
Koeppens eigenes Leben verlief gleichfalls wenig harmonisch. Eine unglückliche Beziehung, mangelnde literarische Anerkennung und ständige Geldnot waren die Konstanten in Koeppens Laufbahn. Auch in diesem Unglück ortet Franz Schuh einen bemerkenswerten Widerspruch: "Er war ein Mann, der gescheitert ist, aber an Ansprüchen, die andere an ihn stellten, und er war kein aufrichtiger Mann in dem Sinn der elenden Wahrheitsliebe, die niemanden verschont, auch sich selber nicht. Aber er war ein genießerischer Mensch, der dem Rotwein intensiv zusprach, aber in der Art, wie er es gemacht hat, war eine so tiefe Grundsätzlichkeit, dass man das Gefühl hatte: Ja, so lebt er Mensch!"
Franz Schuh besuchte mit Wolfgang Koeppen dessen Stammlokal in München und sah mit großem Erstaunen, wie viel Liebe man Koeppen seitens des Personals entgegenbrachte; einmal mehr verweist Schuh darauf, dass es eine Vielzahl von Liebes-Arten gibt. Und selbst die Zuneigung, die Koeppen seinem räudigen Hund entgegenbrachte, entging Schuh nicht - auch sie findet Eingang in seine Liebes-Erzählung im Buch "Der Krückenkaktus". Wolfgang Koeppen führte dennoch ein Leben am Rande eines Abgrunds, ein Alltagsritual des Schreckens:
"Er war von tiefer Skepsis gegenüber den Glücksmöglichkeiten des Daseins erfüllt, aber er mochte guten Rotwein gerne: Die Gerüchte, die über ihn im Umlauf waren, gingen so, dass er abends nach Hause kam, hinfiel, sich den Kopf verletzte, ins Spital gebracht wurde, und sein wunderbare Verleger, der große Unseld, hat dafür gesorgt, dass das bezahlt wird, denn krankenversichert schien er auch nicht gewesen zu sein."
Ein "archaisches Freudenfest"
Immer wieder versuchte Franz Schuh, Wolfgang Koeppen für eine Lesung nach Wien zu holen. Eines Tages endlich gelang das Unterfangen. Im Hörsaal 1 der Wiener Universität kam es schließlich zu einer weiteren Sternstunde für Franz Schuh: Dem alten Schriftsteller Wolfgang Koeppen brandete eine Welle der Zuneigung entgegen.
"Plötzlich war bei der Lesung von Koeppen der Hörsaal ganz voll. Er las aus seinem Buch 'Jugend' vor - das heißt, er hat das ganze Buch gelesen, und es waren hauptsächlich junge Menschen da, das bedeutet für einen alten Schriftsteller enorm viel. Dass er eine Tradition bilden kann, wo seine Sätze, die von einer Urzeit handeln, die längst schon von den Flüssen der Geschichte weggespült wurde, dass er dafür Hörer begeistern kann, die jung sind, das ist ein Glückserlebnis für ihn gewesen, weil die Zusammengehörigkeit zwischen alten Menschen, die jung geblieben sind, und Jungen, die hoffentlich alt werden, weil diese Zusammengehörigkeit ein archaisches Freudenfest ist."