Ralph Dutlis Kulturgeschichte der Biene
Das Lied vom Honig
Stricken, Schrebergärtnern, Bienenzüchten: Das Biedermeier mit dem großen Glück im Kleinen ist wieder in. Auch in den Großstädten sind rurale Vergnügungen en vogue – voriges Jahr konnte sich der Arbeitersportklub Wien-Donaustadt, Sektion "Imkerei", der Anträge kaum erwehren. Alle wollen lernen, wie man Honig macht.
8. April 2017, 21:58
Dass keine kulturelle Institution mehr ohne eigenen Bienenstock am Dach auskommt, ist bekannt: Die Wiener Oper macht freundliche Werbung damit, in der Pariser Oper wird "miel beton" angeboten, "Betonwelt-Honig". Passend dazu greift der Schweizer Autor und Essayist Ralph Dutli mit seiner "Kulturgeschichte der Biene" tief in den Honigtopf. Auf den letzten Seiten des 150-Seiten Essays erklärt Dutli seine Methode, die Rezeptur des "Liedes vom Honig".
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Natur und Kultur greifen im Bienenthema energisch ineinander. Die Biene ist eine Vertreterin absoluter Natürlichkeit, was den Künstler selbstverständlich reizt und fasziniert, denn er weiß um die Künstlichkeit seiner Hervorbringungen, die immer nur der Natur hinterher schwärmen können.
Insekten mit eigener Sprache
Dutli erzählt von den Bienenvölkern, den Königinnen und Drohnen, vom Wabenbau, der gleichermaßen Kepler wie Galilei faszinierte. Die Biotechnikerinnen lagern in einer 100 Gramm wiegenden Wabe bis zu vier Kilo Honig ab. Es geht um die Biene als "Reproduktionsmaschine", um die vom gebürtigen Wiener Karl von Frisch entdeckte und mit dem Nobelpreis ausgezeichnete "Bienensprache" und deren bis heute fortgesetzte Erforschung. Bienen kommunizieren mit abstrakten Symbolen. 40.000 Ausflüge zu vier bis sieben Millionen Blüten sind nötig, um ein Glas Honig zu produzieren.
Vom "Schwänzeltanz" der Immen geht es zum Bienensterben durch Milben und Umweltverschmutzung und Elektrosmog: Wenn die Bienen sterben, heißt es bei manchen Apokalyptikern, ist auch der Untergang der gesamten Menschheit nicht fern. Die Berechnung der "volkswirtschaftlichen" Bedeutung der Bienen vor einigen Jahren fiel nicht so düster, aber nicht minder imposant aus: 80 Prozent aller Blütenpflanzen werden von Bienen bestäubt, bei Obstbäumen sind sie für 90 Prozent verantwortlich.
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Eine französisch–deutsche Studie ergab im September 2008, dass die Wirtschaftsmacht der Bienen weltweit ein Konzernvolumen von mindestens 153 Milliarden Euro pro Jahr ausmacht.
Honig gegen Impotenz
Seit jeher rührt die Magie der Biene von ihrem Produkt, dem Honig, und dessen Verwendung her: Ralph Dutli nennt unzählige Beispiele: Altägyptisch Krieger bekamen Honigpflaster, Hippokrates schwor auf Honig bei Fieber, Geschwüren und Impotenz. Er wird zur Behandlung nach Herzinfarkten verwendet, zur Stabilisierung der Magensäure, gegen Ekzeme, bei Husten, bei Verbrennungen und Zahnschmerzen. "Gelee royale" mindert Rheumabeschwerden. Propolis, das Honig-Wachsgemisch, war den Antiken ein Vorläufer des Kaugummis. Der griechische Philosoph Demokrit schwor auf "äußerlich Öl, innerlich Honig".
Die eigentliche Kulturgeschichte des Honigs spannt Ralph Dutli von den heiligen Texten der Hindus bis in die Gegenwart. Als es da in den Veden heißt: "Möge dem Gesetzestreuen aus dem wehenden Wind Honig tropfen! - Mögen unsere Kühe Honig geben!"
Der Bienenstock als Nabel der Welt
Die "Wabenkünstlerin" findet sich in den heiligen Texten der Ägypter - die Ägypter waren es auch, die folgende Beobachtung machten: ein Maus, die in einen Bienenstock eindrang, wurde von den Biene getötet und gegen drohende Infektionsgefahr mit Propolis umhüllt.
So sehr Honig in der Bibel auch als kostbarste Metapher gilt, von den Bienen weiß sie wenig: In der Mythologie der Griechen und Römer ist sie hingegen geradezu allpräsent. Omphalos, der Nabel der Welt, ist der Bienenstock. Begleiterin der prominenten Fruchtbarkeitsgöttin Demeter sind Bienen. Bei den Antiken findet sich auch erstmals das Schlaraffenland, wo Milch und Honig fließen.
Christlicher Bienensegen
Der lange Zeit (erst im 18. Jahrhundert geklärte) rätselhafte Ursprung der Immen hatte jedenfalls eine mächtige christliche Bienengeschichte zur Folge. Für den Heiligen Augustinus war klar: "Die Biene kennt keine Männer, die Blume ist ihr Bräutigam." Ralph Dutlis Kürzestformel für den üppigen christlichen Bienensegen vom Heiligen Ambrosius bis zur Mystikerin Brigitta von Schweden und den diversen Heiligenlegenden:
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Jesus Christus ist die Biene. Die Jungfrau Maria der Bienenstock. Die Heilige Schrift ist eine Wabe voll süßesten Honigs.
Die kleine, freche...
Für den "bösen", das heißt realistischen Philosophen Bernard Mandeville war der Bienenstock mehr als eine bloße Metapher; Napoleon ließ seinen kaiserlichen Mantel mit goldenen Bienen verzieren. Leo Tolstois Ehefrau befürchtete zeitweilig, der Schriftsteller würde ob seiner überschwänglichen Begeisterung für die Imkerei verrückt.
Ja, und da ist schließlich noch die "Biene Maja" aus dem Jahr 1912. Als Zeichentrick einer der erfolgreichsten Filme seines Genres überhaupt, kam die Kindergeschichte, die heuer ihren 100. Geburtstag feiert, jüngst auch ein wenig in Verruf: Waldemar Bonsels hat für den Aufruf zur letzten Schlacht, den die Bienenkönigin an ihr Volk richtet, Anleihe bei Kaiser Wilhelms sogenannter "Hunnenrede" genommen: "Im Namen eines ewigen Rechtes und im Namen der Königin: Verteidigt das Reich!"
Stellt sich nur noch die Frage: Ist die "Biene Maja" nicht nur schwarz-gold, sondern auch - braun? Liebhaber des Honigs mögen sich mit dunkelbraun glänzendem Buchweizenhonig trösten und Ralph Dutli noch weiter bis zur "Honigpumpe" von Joseph Beuys folgen. "Das Lied vom Honig" ist gekonnt geschrieben, gebildet, informativ - nicht nur wer gärtnert, sollte es lesen. Mit einem Wort: Es ist ein Buch für gehobene Stände, ein bisschen mehr Naturgeschichte in der Kulturgeschichte wäre kein Schaden gewesen.
Service
Ralph Dutli, "Das Lied vom Honig – Eine Kulturgeschichte der Biene", Wallstein Verlag
Wallstein - Das Lied vom Honig