Reportagen von Martha Gellhorn
Das Gesicht des Krieges
Ein Schwarz-weiß-Foto, das die junge Martha Gellhorn mit kritischem Blick, Baskenmütze und drei chinesischen Soldaten zeigt, ziert den altmodischen Buchumschlag. Liest man die ersten Zeilen von "Das Gesicht des Krieges", verliert das Buch allerdings jeglichen verstaubten Charakter.
8. April 2017, 21:58
Gellhorn schreibt über ihre Reisen, die sie zwischen 1937 und 1987 unternommen hat, in einem Ton, der auch im 21. Jahrhundert nicht an Aktualität verloren hat. Das Buch beginnt sie mit jugendlichem Idealismus, dieser muss sie wohl auch während ihrer langen Zeit als Kriegsreporterin immer noch angespornt haben.
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In meiner Jugend glaubte ich an die Fähigkeit des Menschen, immer vollkommener zu werden, und an den Fortschritt. Den Journalismus hielt ich für ein Leitfeuer auf dem Weg. (...) Die Sache einer Journalistin war es, Nachrichten zu liefern, das Auge ihres Gewissens zu sein. Ich muss mir die öffentliche Meinung wohl als eine massive Kraft vorgestellt haben, wie ein Tornado, allzeit bereit, auf der Seite der Engel loszustürmen.
"Krebsgeschwulst" Krieg
Die Menschen wären eher bereit, Lügen zu schlucken, als die Wahrheit zu erkennen, resümiert Martha Gellhorn in der englischen Originalausgabe von 1959 resigniert und schreibt:
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Die manipulierten Millionen ließen sich durch alle möglichen Lügen aufscheuchen oder einlullen. Das Leitfeuer des Journalismus war nicht heller als ein Glühwürmchen.
1908 in St. Louis geboren, reist die junge Amerikanerin ab 1937 als Reporterin in Kriegsgebiete. Die Originalausgabe von "Das Gesicht des Krieges" erscheint 1959, zehn Jahre vor Gellhorns Tod wird 1988 eine überarbeitete Version veröffentlicht, auf der die aktuell erschienene deutsche Ausgabe basiert. "Krieg ist wie ein Krebsgeschwulst", schreibt Gellhorn, "Krieg ist eine bösartige Krankheit, eine Idiotie, ein Gefängnis." Das Gerede derer, die für die Kriege verantwortlich sind, höre sich an, als ob ein Atomkrieg wahrscheinlich wäre und gewonnen oder verloren werden könnte.
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Ruhe bewahren. Wir werden den Feind mit unseren anti-offensiv-defensiven röntgenstrahlgelenkten Tripelinterkontinentalüberschallsuperraketen schlagen. Keine Angst. Wir werden den Gegner mit unseren besten, kleinsten, tödlichsten Fissions-Entfissions-Difissions-Profissions-Bomben verbrennen. In der Zwischenzeit, Genossen, Landsleute, Mitbürger, treue Untertanen, besteht Ihre Aufgabe in der zivilen Verteidigung. Graben Sie ein kleines bombensicheres Loch in Ihrem Garten und warten Sie auf die Apokalypse.
Mitten im Gefecht
Martha Gellhorn besucht viele Kriegsschauplätze, sie schreibt beispielsweise vom Schicksal einer jungen Rettungswagenfahrerin, über Waisenkinder in Saigon und wie es sich anfühlt, sich mitten in einem Gefecht zu befinden. Während der Zeit des Nationalsozialismus reist Gellhorn nach Deutschland, im September 1938 berichtet sie über den Spanischen Bürgerkrieg, 1967 über den Sechs-Tage-Krieg in Israel und über die in Europa wenig beachteten Kriege in Zentralamerika.
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Es ist unsere uralte Tradition, uns gegenseitig zu ermorden, aber nur wir, die in der Gegenwart leben, sollten den Preis für unsere abscheuliche Dummheit bezahlen müssen. Nichts von dem, was uns in unserem kurzen geschichtlichen Augenblick bewegt, gibt uns das Recht, die Zeit anzuhalten, die Zukunft auszulöschen.
Bericht aus Israel
Nach ihrem Aufenthalt in Israel will sich Gellhorn privaten Separatfrieden nehmen, sie hört keine Nachrichten, liest keine Zeitung und lebt in Mexiko - bis sie 1965 vom Vietnamkrieg erfährt. Wäre es nicht ihr eigenes Land gewesen, das einen nicht erklärten Krieg führt, hätte sie sich nicht mehr in die Nähe eines Krieges begeben, schreibt die Journalistin. Beklemmende Situationen schildert Martha Gellhorn zwei Jahre später aus Israel.
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Fliegen wie schwirrende schwarze Wolken; sie setzten sich auf einen, sie flogen einem in die Augen und in den Mund. Qualvolle trockene Hitze, blauweißer Himmel, grelles Licht, lauwarmes rationiertes Wasser. Panzer, verbrannt, zerschmettert auf der Seite liegend, mit gerissenen Ketten, überall, Hunderte seltsame schwarze, tote Ungeheuer. Haufen von Stiefeln, auf dem Sand verstreut, von den ägyptischen Truppen beim Rückzug oder der Kapitulation weggeworfen. Neue Zivilfahrzeuge, die Schnauze nach Ägypten gewandt, von Maschinengewehrfeuer zerfetzt.
100 Millionen Beteiligte an Krieg
Die Zivilbevölkerung leidet nicht nur unter dem Krieg, sie ist auch in den Krieg eingebunden: Wenn ein Krieg stattfindet, sind weltweit insgesamt hundert Millionen Menschen beteiligt - wenn auch nur indirekt, rechnet Gellhorn vor. Denn: Bürokratien, Streitkräfte, wissenschaftliche Mitarbeiter, Lieferanten und Waffenhersteller - alle tragen ihren Teil dazu bei.
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Wirtschaft ist ein abstraktes Wort und sagt nicht genug. Wir alle bezahlen für diese Verteidigung, diese größte einzelne Industrie auf der Erde. Wir, die wir nicht davon profitieren, unterhalten sie. Und was bekommen wir für unser Geld? Sicherheit? Wer fühlt sich sicher?
Gellhorn hat den Gedanken an eine Welt ohne Krieg aufgegeben, für Frieden müssten die Menschen die Fähigkeit besitzen, vollkommen zu werden. "Das Gesicht des Krieges" ist lesenswert - packend und gleichzeitig nüchtern schreibt Gellhorn ihre Reportagen über die leidenden Gesichter des Krieges, die Gesichter der Zivilbevölkerung.
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Martha Gellhorn, "Das Gesicht des Krieges. Reportagen 1937-1987", aus dem Amerikanischen übersetzt von Hans-Ulrich Möhring, Dörlemann Verlag
Dörlemann - Das Gesicht des Krieges