"Im Journal zu Gast"

Alzheimer-Experte fordert "Demenz-Plan"

Demenz und Alzheimer werden zu einem immer größeren gesellschaftlichen Problem. Österreichs Politik müsse einen strategischen Plan zur Bewältigung der Herausforderungen endlich umsetzen, fordert der Alzheimer-Experte und Neurologe Peter Dal-Bianco von der MedUni Wien. Dazu gehöre bessere Hilfe für Patienten und vor allem für pflegende Angehörige, aber auch mehr Frühdiagnose und eine fundierte Einschätzung der Pflegebedürftigkeit, so Dal-Bianco "Im Journal zu Gast".

Alte Dame in einem Sessel im Gegenlicht

(c) Kleinschmidt, DPA

Mittagsjournal, 28.12.2013

Demenz-Experte Peter Dal-Bianco "Im Journal zu Gast" bei Gudrun Stindl

"Konzepte umsetzen!"

Die acht wichtigsten Industrienationen haben sich bei ihrem ersten, richtungsweisenden G-8-Gipfel zur Demenz Mitte Dezember verpflichtet, den Kampf gegen diese Volkskrankheit aufzunehmen. Dal-Bianco erwartet vom G-8-Gipfel auf jeden Fall Auswirkungen, kurzfristig durch eine Erhöhung der Forschungsförderung - so wurde ja die Verdoppelung der Summen in Aussicht gestellt, aber auch mehr öffentliche Aufmerksamkeit. Dazu komme eine globale Zusammenarbeit der Forschung. Denn Alzheimer sei nicht gesellschaftsspezifisch, sondern die Krankheit betreffe alle, unabhängig von Bildung oder Finanzen.

In 13 Staaten wie Großbritannien, Norwegen und Frankreich gibt es eigene Pläne, wie man das Problem Demenz akkordiert strategisch angehen will. In Österreich gibt es so etwas nicht, obwohl es seit Jahren gefordert und auch daran gearbeitet wird. Bereits erarbeitete Pläne und Konzepte müssten nun auch umgesetzt werden, appelliert Dal-Bianco an die Politik. Wichtig sei in den Zusammenhang die Beurteilung der Pflegestufenhöhe: Dafür müssten die Experten die Gutachterärzte besser ausbilden, "weil wir wissen, dass die Alzheimer-Patienten hervorragend im Fassadenverhalten sind. Das heißt, in fünf Minuten ist das nicht zu durchschauen." Im Small Talk könnten die Patienten Dinge erzählen, die gut klingen, aber überhaupt nicht stimmen. Von diesem "perfekten Theater" dürften sich die "gutachterlichen Kollegen" nicht täuschen lassen und falsche Einstufungen vornehmen. Dal-Bianco schlägt vor, den Erfahrungsmangel mit Fortbildung und Workshops zu "polstern".

Wo ist das "Alzheimer-Telefon"?

Die Pflege der Alzheimer-Patienten kann Angehörige, zu 80 Prozent Frauen, bis zum Zusammenbruch beanspruchen. Das Pflegesystem müsse diese Personen unterstützen, ein Sicherheitsnetz bieten und z.B. Hilfe bieten, wenn die Betreuungskraft selbst krank wird. Dafür müsse es einfache Schnittstellen geben, wie etwa ein "Alzheimer-Telefon". Dal-Bianco appelliert auch an die Betreuenden: "Hilfe bitte annehmen!" Denn meistens stimme die Einschätzung nicht, dass man alles alleine bewältigen könne. Und wenn man das System überlaste, dann komme irgendwann der Zusammenbruch. Selbst wenn der Patient verstirbt, ist die Belastung nicht vorbei: Die Nachwirkungen wie Herz-Kreislauf-Labilität, Depression, Schlafstörungen oder Burn-Out hielten weiter an. "Alzheimer bricht über eine ganze Familie herein und führt auch zu einer Erkrankung derjenigen, die sich verantwortlich fühlen und viel Hilfe leisten."

Alzheimer-Erkrankungen werden oft sehr spät erkannt, Frühdiagnosen sind sehr selten. Das liegt nach den Worten des Neurologen vor allem an der Tabuisierung der Krankheit, weshalb man darüber nicht reden will. Bei der Diagnose "Alzheimer" müssten Ärzte und Kliniken auch sehr vorsichtig sein: Sie dürfe erst dann gestellt werden, wenn man sich zu mindestens 90 Prozent sicher sei.

Sieben Risikofaktoren

Ein Grund für die Zunahme der Demenzerkrankungen ist einerseits die höhere Lebenserwartung, aber auch der Lebensstil. Zu den Risikofaktoren gehörten Bluthochdruck, Diabetes, Rauchen, Depression, Übergewicht, Bewegungsmangel und ein lebenslanges Nachlassen der Neugierde und der geistigen Aktivität. Diese "sieben Treiber" würden die Krankheit zwar nicht auslösen, aber den klinischen Verlauf und den Zeitpunkt der Erkrankung vorverlegen. Neuropathologisch könne Alzheimer schon ab dem 30. Lebensjahr auftreten, die "Symptomendstrecke" beginne aber erst ab 65 oder 70 Jahren. "Wir haben klinisch die Spitze des Eisbergs, aber der Eisberg selber hat schon eine Entwicklung von 30 Jahren. Das erschreckt einerseits, eröffnet aber auf der anderen Seite ein großes Präventionszeitfenster. Und an dem soll auch gearbeitet werden in den nächsten Jahren."

Mehr Forschung nötig

Wie weit man noch von einer "Pille gegen Demenz" entfernt sei, will Dal-Bianco nicht sagen. Auch Penicillin sei nicht durch aktive Erforschung entdeckt worden, sondern durch einen Laborfehler und gute Wahrnehmung und Interpretation. Möglichweise sei es bei einem Alzheimer-Medikament genau so, aber das wisse man eben nicht.

Bis 2025 soll es ein wirksames Mittel gegen die Alzheimer-Demenz geben - damit stehe man vor der größten medizinischen Herausforderung unserer Generation, hieß es beim G-8-Gipfel. Weltweit leben derzeit 44 Millionen Menschen mit Demenz, Tendenz rasant steigend. Bis 2050 werden 135 Millionen Betroffene weltweit erwartet.