Martin Walser

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Martin Walser 90

"Schreiben ist für mich das Wichtigste"

Schon bei seinem 85. Geburtstag sagte Martin Walser, die Zahl beeindrucke ihn wenig - solange er noch schreiben könne. Heute wird es wohl dennoch zahlreiche Glückwünsche geben: Der bedeutende Autor vom Bodensee wird 90 Jahre alt.

Kulturjournal, 24.3.2017

"Literatur ist Welterklärung. Schreiben heißt, etwa so zu sagen, wie es nicht ist." Der Jubilar im Gespräch über Hass, Rechtspopulismus und das Schreiben.

Martin Walser

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Martin Walser ist einer, der nicht nur mit seinem literarischen Werk Aufsehen erregt hat, sondern auch als streitbarer Kommentator von Politik und Zeitgeschichte. Seine Streitlust mag abgenommen haben, seine Schreiblust ist ungebrochen. Das beweist auch im Jubiläumsjahr sein neuer Roman: "Statt etwas oder Der letzte Rank".

Morgenjournal, 24.3.2017

Geboren wurde Martin Walser 1927 als Sohn eines katholischen Gastwirts im bayerischen Wasserburg. Schon als Zwölfjähriger schrieb er erste Gedichte, nach dem Zweiten Weltkrieg studierte er unter anderem Literaturwissenschaft. Seinen ersten Erzählband "Ein Flugzeug über dem Haus" veröffentlichte er 1955, den ersten Roman "Ehen in Philippsburg" 1957 - in den Jahren darauf folgten unzählige Werke, darunter Romane, Novellen, Theaterstücke, Gedichte, Essays, Hörspiele und Aufsätze.

Produktivität beibehalten

Die Produktivität hat Walser auch im hohen Alter beibehalten: In den vergangenen fünf Jahren erschienen unter anderem der Essay "Über Rechtfertigung, eine Versuchung", die Romane "Das dreizehnte Kapitel", "Die Inszenierung", "Ein sterbender Mann" und "Statt etwas oder Der letzte Rank" sowie mit "Meßmers Momente" der dritte Teil der Meßmer-Reihe und der Band "Shmekendike blumen. Ein Denkmal für Sholem Yankev Abramovitsh".

An das Aufhören habe er nie gedacht, sagte Walser noch zu seinem 85. Geburtstag. "Als ich 30 Jahre alt war, habe ich gesagt: Was du mit 50 nicht geschrieben hast, das muss nicht mehr geschrieben werden. So borniert war ich damals. Jetzt sage ich: Ich schreibe etwas, was ich damals nicht hätte schreiben können." Das Schreiben sei für ihn das Wichtigste. "Und wenn sich dabei ganz klar ergibt, dass ich jetzt etwas schreibe, das vorher nicht ging, habe ich das Gefühl, ich dürfe weitermachen - also von mir aus gesehen, nicht von den Leuten."

Mit zahlreichen Etiketten bedacht

Im Laufe seines Lebens ist Walser immer wieder mit zahlreichen Etiketten bedacht worden - er galt bei Kritikern als Kommunist, als Nationalist, sogar als antisemitisch. "Versuche, mich zu erledigen", nannte der Autor dies einmal. Wenn er sich ganz weit von sich entferne, denke er manchmal: "Ich hätte mich beherrschen müssen. Ich hätte mich nie um etwas Politisches kümmern sollen, sondern einfach Romane schreiben. Schluss, Schluss, Schluss. Aber das habe ich nie gemacht. Ich hätte vielleicht ein Medikament nehmen sollen, irgendetwas Beruhigendes."

Wie sehr Walser diese Vorwürfe auch nach Jahrzehnten noch kränken, zeigt ein Buch, dass der Autor 2015 herausbrachte: In "Unser Auschwitz" dokumentierte Walser, dem in der Vergangenheit unter anderem Antisemitismus vorgeworfen wurde, seine lebenslange Auseinandersetzung mit der deutschen Schuld. Viele Kritiker sahen darin eine Art Umdenken eines alternden Schriftstellers oder gar den Versuch einer Rehabilitierung. Der Begriff machte Walser beinahe wütend: "Ich finde das absurd", sagte er nach Erscheinen des Buchs der Deutschen Presse-Agentur. "Entschuldigung, Rehabilitation, was heißt denn das? Das heißt, irgendein Verbrecher muss rehabilitiert werden. Da sieht man den leichtfertigen Umgang mit Fremdwörtern."

Text: APA/dpa, Red.