Der Schriftsteller Martin Walser

Mir fällt ein, was mir fehlt

Seinem Oeuvre hat Martin Walser nun einen weiteren Roman hinzugefügt. "Ein liebender Mann", das ist Goethe, den am Ende doch das Alter und seine Hinfälligkeit einholen. "Im Gespräch" geht es aber um mehr als das große literarische Thema Liebe.

Mit 16 Jahren als Flakhelfer eingezogen, erlebt der im Allgäu geborene Martin Walser das Kriegsende als Soldat der Wehrmacht. Dass er - wie Dokumente es belegen wollen - im Jänner 1944 der NSDAP beigetreten sein soll, bestreitet er. Walser holt das Abitur nach, studiert Literatur, Geschichte und Philosophie und dissertiert zu Franz Kafka. Noch während des Studiums schreibt er Reportagen und erste Hörspiele.

Er setzt sich für die Wahl Willy Brandts zum Bundeskanzler ein, ist Zuhörer beim Auschwitz-Prozess, engagiert sich gegen den Vietnamkrieg und gilt als Sympathisant der KP. Später wirft man ihm Sinneswandel vor. Er meldet sich immer wieder mit politischen Aussagen zu Wort und handelt sich viel Kritik, aber auch viele Preise ein.

2007 listet das Magazin "Cicero" die 500 wichtigsten deutschsprachigen Intellektuellen auf. Martin Walser liegt auf Platz zwei - hinter Papst Benedikt.

Michael Kerbler: Herr Walser, haben Sie schon Jonathan Littells Buch "Die Wohlgesinnten" gelesen?
Martin Walser: Nein... Gehört davon hab ich genug!

Dieses sehr umstrittene Buch versucht aus der Sicht eines Täters eine Darstellung der Ereignisse im "Dritten Reich" zu geben. Eine Essenz daraus: Kultur ist kein Schutz. Man kann für Beethoven schwärmen, die "Kleine Nachtmusik" pfeifen, Goethe lieben, Schiller rezitieren und trotzdem ein Unmensch sein.
Ja. Das war immer klar. Oder? Dass es kultivierte Verbrecher gibt. Das gab es in der Antike und gibt es in der Gegenwart.

Schreibt man nicht auch als Schriftsteller, weil man hofft, ein bisschen zur Immunisierung beitragen zu können?
Also das ist mir vollkommen fremd! Entschuldigung, ich muss da total passen, weil ich schreibe nicht für andere, sondern weil ich etwas herausbringen muss aus mir, was ich, ohne zu schreiben, nicht so kennenlernen kann. Und dann möchte ich es natürlich veröffentlichen, um zu sehen, ob es anderen auch so geht wie mir. Das ist schon ein dringendes Bedürfnis, durch Reaktion zu erfahren, ob ich mit meinen Empfindungen alleine bin. Das ist mein ganzes Handwerks-Ding. Aber immunisieren? Andere? Und sowieso? Na gut, vielleicht gelingt das anderen, die das Handwerk so souverän beherrschen, dass sie es anwenden können für jede gute Absicht. Das ist bei mir nicht der Fall. Ich habe kein beherrschbares Handwerk. Bei mir kommt nur etwas heraus, wenn es mich selber angeht.

Sie haben einmal gesagt, Günter Grass schreibe, weil er zu viel habe, und Sie würden schreiben, weil Ihnen etwas fehle. Wie soll man das verstehen?
Gut, das ist ziemlich leicht. Ich hätte es auch anders ausdrücken können und sagen: Wenn ich andauernd das Leben, die Welt und alles erträglich fände, dann würde ich wahrscheinlich nicht schreiben. Und dann sag ich halt: Mir fällt ein, was mir fehlt. Mir fehlt eben ein Zustand der Welt, den ich mühelos und ganz von selbst erträglich finden könnte. Aber da das nicht so ist, muss ich mich andauernd zurechtfinden, muss ich andauernd sehen: Wie geht es mir? Wie kommst du damit aus? Und dann kommt das Schreiben zu Stande.

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Martin Walser: "Ein liebender Mann", Rowohlt 2008