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Punkt eins
Gaza und das Völkerrecht
Schweigt das internationale Recht im Nahost-Konflikt? Gast: Dr. Philipp Janig, Institut für Öffentliches Recht und Völkerrecht, Universität der Bundeswehr München. Moderation: Xaver Forthuber. Anrufe 0800 22 69 79 | punkteins(at)orf.at
13. August 2025, 13:00
Am 7. Oktober 2023 verübten die Al-Kassam-Brigaden der Hamas und weitere bewaffnete Gruppen einen schweren terroristischen Angriff auf die Bevölkerung Israels. Hunderte Menschen wurden als Geiseln verschleppt - ein Kriegsverbrechen, wie der beigeordnete UN-Generalsekretär Miroslav Jenca Anfang August im Sicherheitsrat erneut klarstellte. Israels Reaktion traf - und trifft - aber nicht nur die Hamas, sondern die ganze palästinensiche Zivilbevölkerung. Auch ein mögliches Kriegsverbrechen? Der Internationale Strafgerichtshof hat letzten Herbst gleichzeitig Haftbefehle gegen die israelische sowie die Hamas-Führung ausgestellt. Das Gericht ist damit befasst, "Kriegsverbrechen, Verbrechen gegen die Menschlichkeit, Völkermord und das Verbrechen der Aggression" zu verfolgen - alles definierte Begriffe im Völkerstrafrecht. Nun geht es um ihre Durchsetzbarkeit.
Schon im September letzten Jahres schrieb ein Sonderkomittee der Vereinten Nationen, die Kriegsführung von Seiten Israels stimme mit der Definition eines Völkermords überein. Hervorgehoben wurde unter anderem der Einsatz von "Hunger als Waffe". "Eindeutige Beweise" für einen Völkermord sehen auch die NGO Amnesty International und zuletzt drei Fraktionen des Europäischen Parlaments in einem offenen Brief an die Kommissionspräsidentin. Die Vorgänge im Gaza-Streifen, so der UN-Bericht weiter, seien auch ein schwerer Schlag für das internationale Regelsystem, das dazu dienen sollte, "die Grausamkeit des Krieges" einzudämmen. Ein Test für das Völkerrecht?
Letzte Woche wurde dann bekannt, was viele schon erwartet hatten: Benjamin Netanjahu verkündete die Ausweitung der Kampfoperationen mit dem Ziel, zumindest vorübergehend den ganzen Gaza-Streifen und insbesondere Gaza-Stadt unter Kontrolle zu bringen. Im In- und Ausland wird Kritik laut: Ist ein solches Vorgehen mit den ursprünglichen Zielen von Sicherheit, Verteidigung und vor allem einer Rückholung der Geiseln vereinbar? Jenca warnte in diesem Zusammenhang am Sonntag von einer drohenden humanitären Katastrophe, während die europäischen Staaten darauf hinwiesen, dass "jeder Versuch eines Anschlusses oder einer Erweiterung von Siedlungen internationales Recht verletzt". Am Montag kündigten Australien und Neuseeland an, eine Anerkennung Palästinas bei der Generalversammlung der Vereinten Nationen im September ins Auge zu fassen - ebenfalls ein völkerrechtlicher Akt, eine "Willenserklärung", aber wohl fast immer auch ein politisches Statement.
Wie klar, aussagekräftig und durchsetzbar ist das Völkerrecht wirklich, zumal in einem so asymetrischen, tiefliegenden und ideologisch beladenen Konflikt? Was bedeuten Begriffe wie Aggression oder Genozid genau und warum sind sie relevant? Zwingen die jüngsten Entwicklungen zu einer rechtlichen Neubewertung, oder wonach sonst richtet sich die internationale "Stimmungslage" angesichts des Gaza-Kriegs? Zu Gast dazu bei Xaver Forthuber ist Philipp Janig, Wissenschaftlicher Mitarbeiter der Professur für Internationales Recht und Internationalen Menschenrechtsschutz an der Universität der Bundeswehr München. Reden Sie mit: Rufen Sie in der Sendung an unter 0800 22 69 79 oder schreiben Sie ein E-Mail an punkteins(at)orf.at.