Joseph Goebbels

ASSOCIATED PRESS

Sommerserie

Als Radiohören gefährlich war

Radio im Widerstand, Radio als Waffe - das beschreibt eine historische Sendereihe des Wiener Schriftstellers und Publizisten Franz Richard Reiter.

Propaganda und Knebelung des freien Wortes sind wichtige Elemente jeder Diktatur. Im NS-Staat war beides fast perfekt entwickelt. Kritische Äußerungen oder auch nur das Bezweifeln offizieller Behauptungen wurden als Verbrechen geahndet. Die wichtigsten Instrumente des von Josef Goebbels geleiteten Propagandaministeriums waren: die gleichgeschaltete Presse, denn gegnerische oder neutrale Zeitungen gab es nicht und ausländische Zeitungen waren unzugänglich; der staatlich kontrollierte Film, da vor allem die Wochenschau - und: der Rundfunk.

Volksempfänger

AP/U.S. ARMY SIGNAL CORPS

Volksempfänger

"Gleichgeschaltete" Medien

Ein kleiner Radioapparat, genannt "Volksempfänger", wurde preisgünstig auf den Markt gebracht, damit möglichst vielen "Volksgenossen" die Reden der "Großen des Reiches", die gelenkten Nachrichten und die stereotypen Propagandalosungen eingehämmert werden konnten. Die Gleichschaltung der öffentlichen Meinung durch die Nazis wurde mit der Okkupation Österreichs auch auf dieses Land ausgedehnt. Es gab keinen österreichischen Rundfunk mehr, es gab keine österreichischen Zeitungen mehr. Österreich war dem Deutschen Reich eingegliedert.

Radiohören konnte tödlich sein

Eine Möglichkeit, sich über die Vorgänge in der Welt und über die wahren Verhältnisse in Österreich und in Deutschland zu informieren, war das Abhören sogenannter ausländischer Sender - nicht nur feindlicher Sender, wie oft irrtümlich angegeben wird ¬- die jedoch mit dem Volksempfänger normalerweise nicht empfangen werden konnten.

Das absichtliche Hören ausländischer Sender konnte tödlich sein und war in vielen Fällen tödlich. Das geht aus erhaltenen Gerichtsurteilen hervor.

Die Nazis fürchteten das freie Wort so sehr, dass sie das absichtliche Hören ausländischer Sender in der "Verordnung über außerordentliche Rundfunkmaßnahmen vom 1. September 1939" gesetzlich mit Zuchthaus bestraften. Wer Nachrichten ausländischer Sender vorsätzlich verbreitete und dadurch "die Widerstandskraft des deutschen Volkes gefährdete" - wie es hieß -, musste damit rechnen, mit dem Tode bestraft zu werden.

Widerstand aus der Luft

Die Alliierten nahmen den Kampf um den Äther sehr schnell auf. Es war zugleich der Kampf um die Köpfe der Menschen. Sie brachten in ihren Sendungen Anleitungen zum Umbau des "Volksempfängers", damit man mit ihm gut und leicht ausländische Sender empfangen konnte. Gleichzeitig warfen sie von ihren Flugzeugen Streichholzbriefchen ab, die statt Streichhölzern die Anleitung samt Skizze zum Umbau des "Volksempfängers" enthielten.

Um der Denunziation durch Nachbarn und Passanten zu entgehen, hörte man das verbotene Radio eingehüllt in Decken.

Einzigartiges Material

Die fünfteilige Reihe "Als Radiohören noch gefährlich war" des Wiener Schriftstellers und Publizisten Franz Richard Reiter ist das Ergebnis einer rund zehnjährigen Recherche und wurde 1989 zum 50. Jahrestag des Beginns des Zweiten Weltkrieges am 1. September 1939 mit dem Überfall Hitlers auf Polen im ORF gesendet.

Besonderer Schwerpunkt sind Sendungen die eigens für Österreich produziert wurden, Sendungen an denen Österreicherinnen und Österreicher beteiligt waren. Eigene Programme nach Österreich wurden unter anderem von Großbritannien, den Vereinigten Staaten von Amerika, der Sowjetunion, von Palästina, von Italien und von Frankreich ausgestrahlt.

Sternstunden der Radiogeschichte

In der Sendereihe präsentiert werden u. a. folgende Programme, die nachweislich in Österreich gehört wurden: Die berühmten Ansprachen von Thomas Mann. Sie wurden in den USA aufgenommen und von Großbritannien aus gesendet. Weiters die legendären Sendungen von Jean Rudolf von Salis aus der Schweiz. In seiner "Weltchronik" brachte Professor von Salis jede Woche eine ungefärbte, sachlich-nüchterne Analyse der Weltlage und des Kriegsverlaufs, die in krassem Gegensatz zu den bellenden Propagandasendungen des "Dritten Reichs" stand.

Rettung in letzter Minute

Die Recherchen für diese Reihe gestalteten sich langwierig und aufwendig. Franz Richard Reiter reiste für sie nach Großbritannien, Frankreich und in die USA. Die meisten Tondokumente waren nicht mehr vorhanden. Es bedurfte großer Anstrengungen, die Verantwortlichen zu bewegen, in ihren Archiven Nachforschungen anzustellen. Freilich spielte auch Glück mit. Als Franz Richard Reiter seine Recherche direkt bei der BBC in London begann, wurde ihm beschieden, dass die alten Bestände drei Tage später vernichtet werden würden. Erst nach intensiven Verhandlungen stellte die BBC ihm für drei Tage eine völlig verstaubte Kammer zur Verfügung, in der er die Dokumente hören konnte. Die Zeit reichte bei weitem nicht, um alles zu hören. Aber einen kleinen Teil dieser Dokumente auf Wachsplatten, Schelllackplatten - die meistens von ihnen waren nicht von außen nach innen, sondern von innen nach außen abzuspielen - konnte er retten.

Aufwändige Rekonstruktionen

Da viele Tondokumente nicht mehr vorhanden waren, bat Franz Richard Reiter Autoren, Gestalter und Sprecher der Sendungen, noch einmal ihre Manuskripte, die sie über Jahre hinweg gerettet hatten, zu lesen. Mit ihrer Hilfe wurden auch Kennmelodien rekonstruiert.

Die meisten Manuskripte von Sendungen aus Großbritannien, die Franz Richard Reiter fand, enthalten keine Angaben über Verfasser, Sprecherinnen, Sprecher und Gestalter. Dies unterblieb, um die Menschen, im Falle einer Invasion der Wehrmacht in Großbritannien, zu schützen.

Franz Richard Reiter

"Trotz aller lebensgefährlichen Repressalien gelang es dem NS-Regime nicht, den Wunsch der Menschen nach ungefärbter Information zu unterdrücken und die Menschen daran zu hindern, sie sich zu beschaffen. Mit dieser Reihe will ich auch in Erinnerung rufen, dass Meinungsfreiheit, ohne die es keine Demokratie gibt, immer, auch in Österreich, gefährdet ist. Wir müssen sie schützen. In vielen Ländern der Welt ist sie demoliert. Menschen werden ihretwegen eingekerkert, gefoltert und getötet. Auch heute schmuggeln Menschen auf vielfältige Weise das freie Wort in Diktaturen. Ihnen allen soll unser tätiger Beistand gelten."

Service

Die Reihe wird nun nach fast 30 Jahren mittwochs, 5. Juli., 12. Juli., 19. Juli., 26. Juli und 2. August anstelle des "Salzburger Nachtstudios", 21:00 Uhr, auf Ö1 noch einmal zu hören sein.