ARCHIV KLAUS WAGENBACH
Ausstellung
Kafkas "Prozess"-Manuskript in Berlin
"Jemand musste Josef K. verleumdet haben, denn ohne dass er etwas Böses getan hätte, wurde er eines Morgens verhaftet." So beginnt der wohl bekannteste Roman von Franz Kafka, "Der Prozess". Mehr als 100 Jahre nach seiner Entstehung wird das ganze Manuskript ab morgen im Martin-Gropius-Bau in Berlin gezeigt. Es verrät sehr viel über den Entstehungsprozess des Romans.
30. Juli 2017, 02:00
Morgenjournal, 29.6.2017
Birgit Schwarz
"Berlin war für Kafka wichtig"
Die kostbaren 171 Seiten liegen in speziell angefertigten Vitrinen, geschützt vor Licht und Luft. Die Handschrift von Franz Kafka ist gut lesbar, man sieht durchgestrichene und ergänzte Passagen und man erkennt mühelos Schlüsselsätze aus seinem Roman. Dass dieses Manuskript jetzt in Berlin gezeigt wird, hat einen besonderen Charme, denn Berlin sei immer ein wichtiger Ort für Franz Kafka gewesen, sagt Gereon Sievernich, der Direktor des Martin-Gropius-Baus: "Einerseits die Frauen, und andrerseits wollte er aus seinem Job raus und freier Schriftsteller werden."
Das Schlüsselerlebnis
In Berlin im Hotel Askanischer Hof hat Franz Kafka nach Ansicht vieler Literaturexperten dann auch das Schlüsselerlebnis, dem die Welt den Roman "Der Prozess" zu verdanken hat: Seine Verlobte Felice Bauer trennt sich von ihm in einer Szene, die Kafka als Tribunal empfindet - als einen Prozess indem er schuldlos zum Angeklagten wird und sich ausgeliefert fühlt.
"Die quälende Angst, die uns aus diesem Buch anweht, ist in manchen Augenblicken fast unerträglich; denn wie sollte man sich der Empfindung erwehren: dieses gehetzte Wesen bin ich?" André Gide
Kurze Zeit später, im August des Weltkriegsjahres 1914, beginnt Kafka mit der Arbeit an seinem Schlüsselwerk. Es bleibt unvollendet und wird dennoch zu einem der bedeutendsten Romane des 20. Jahrhunderts, sagt der Direktor des deutschen Literaturarchivs in Marbach Ulrich Raulff: "Millionen von Lesern hatten zu Recht das Gefühl, das unser aller Schicksal in diesem düsteren Jahrhundert in diesem Roman eingefangen ist."
Nicht linear geschrieben
Was viele Leser nicht wissen: Franz Kafka hat diesen Roman nicht linear geschrieben, vom Anfang bis zum Ende, sondern an mehreren Kapiteln gleichzeitig, in zehn unterschiedlichen Heften. Kafka arbeitet zuerst mit großem Tempo. Nur sechs Monate später im Jänner 1915 ist die Niederschrift weitgehend beendet. Doch dann geht es nicht weiter.
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Anstatt zu verbrennen, veröffentlicht Brod
Kafka löst seine Manuskripthefte auf und ordnet die einzelnen Seiten zu 16 Konvoluten. Diese schenkt er seinem Freund Max Brod und bittet ihn kurze Zeit später, die noch unveröffentlichten Texte "restlos und ungelesen zu verbrennen". Brod widersetzt sich dem Wunsch und veröffentlicht 1925, ein Jahr nach Kafkas Tod, eine Auswahl aus dem "Prozess"-Manuskript. Brod gibt den Blättern eine Ordnung - nach seiner Erinnerung -, Kafka hat ihm nämlich den Roman vorgelesen.
1988 wird das Manuskript in London versteigert und kommt nach Deutschland, auch mithilfe von privaten Spendern, erzählt Hans-Gerd Koch, Mitkurator der Ausstellung. "Die Gefahr bestand darin, dass das Manuskript möglicherweise von einem japanischen Milliardär ersteigert wird, und dann in einem Safe verschwindet."
Service
Berliner Festspiele - Franz Kafka. Der ganze Prozess, 30. Juni bis 28. August 2017