Werner Pirchner

LUKAS DOSTAL

50 Jahre Ö1

Werner Pirchners Ö1 Signations als CD

Wenn ein Radiotag ein Theaterstück ist, dann sind die Sendungen seine Akte. Was ein rechter Akt ist, braucht eine Ouvertüre, ein akustisches "Vorhang-auf!"-Signal, eine, eben, Signation.

Um geeignete Signations zu finden, bedienten sich, und zwar jahrzehntelang, Rundfunksender in aller Welt bei der Musikgeschichte, so auch der ORF. Beispiele gefällig? Im TV: Schuberts "Unvollendete" als Störungsüberbrückung, Brubecks "Unsquare Dance" beim "Panoptikum", Iron Butterfly’s "In-A-Gadda-Da-Vida" bei "Sport am Montag", Rezniceks "Donna Diana" bei "Erkennen Sie die Melodie?". Auch wir in Ö1 griffen ins Füllhorn der Musik. Schubert für die Journale, Satie für die "Dimensionen", Schumann für die "Menschenbilder", oder, ein Extrembeispiel, "Pasticcio": zuerst Strawinsky, dann Richard Strauss und schließlich Poulenc. Stellte sich zwischendurch doch die Frage nach einer eigens zu komponierenden Musik, dann wurden verschiedene österreichische Komponisten beauftragt. Ein ganz wichtiger Name ist hier Bert Breit, der für Fernsehen und Radio einige wunderschöne, unverwüstliche Signations schuf, unter anderem auch für Ö1. (Die "Sender-Kennung" von Bert Breit hören Sie am Bonus-Track dieser CD.) Aber, wie gesagt, hauptsächlich gedieh ein Wildwuchs von Barock bis Jazz.

ORF-CD 788

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Spieldauer: 37:28 Min.

Damit sollte am 19. 9.1994 Schluss sein. Beauftragt war Werner Pirchner, ein Mann, der als Vibraphonist Jazzgeschichte geschrieben hatte. Andererseits hatte Pirchner als Filme- und Liedermacher ("Der Untergang des Alpenlandes" bzw. "ein halbes doppelalbum") sein Heimatland Tirol dermaßen gnadenlos unter den künstlerischen Röntgen-Apparat gelegt, dass er Rundfunk-Verbot erhalten hatte! Und dieser Mann sollte nun das akustische Design des Kultur-Senders Ö1 machen dürfen!??

Er durfte. Er fasste es zunächst selbst nicht. Er bot während der Produktion zweimal an, die Sache auf eigene Kosten abzublasen. Es wurde grandios. Und gleichzeitig, im Prinzip, ungeheuer einfach. Denn jeder Ton – wenn er nicht auf eine Sinus-Schwingung reduziert wird – verfügt über Obertöne. Die ersten drei Obertöne bestimmen ihn. Im Falle eines Tones "c" sind die ersten drei Obertöne: c‘, g‘, c‘‘. Werner Pirchner nahm also die ersten drei, man könnte sagen, die wichtigsten Obertöne her. Und baute auf ihnen sämtliche Signations auf. Die drei Töne zwitscherten, tröteten, knallten, flüsterten, tropften. Sie wurden in Pirchners kompositorische Welt voller Anspielungen, Hommagen und ureigener Einfälle, eingebunden. Das Ergebnis hören Sie hier in geballter Form: den traurigen Tango von "Contra", die Verbeugungen vor Mozart ("Opernkonzert", "Opernwerkstatt"), den jubelnden Eifer der Wissenschaft ("Dimensionen"), den geschäftigen Alltagstrott ("Moment – Leben heute"), die lässigen a-cappella-Sounds ("Spielräume") u.v.a..

"Contra"

Werner Pirchner

"Opernwerkstatt"

Werner Pirchner

"Dimensionen"

Werner Pirchner

"Moment - Leben heute

Werner Pirchner

"Spielräume"

Werner Pirchner

Es sind auf dieser CD zwar beileibe nicht alle Signations, die Pirchner komponierte, enthalten, haben doch viele Sendungen noch kürzere Zwischen-Signations, Jingles sowie Endsignations. Bei der Auswahl entschloss ich mich, tatsächlich nur, siehe oben, Ouvertüren, also Eröffnungssignations, herzunehmen. Es sind trotzdem über 80 geworden.

Wenn Sie, liebes Publikum, nun trotzdem einige Sendungen vermissen, liegt das vor allem an Werner Pirchners freundlicher und bescheidener Natur, überließ er es doch den Redaktionen, bzw. den "Entscheidungsträgern", ob sie besonders lieb gewonnene Melodien beibehalten wollten. So blieben die "Menschenbilder" (Schumann) oder "Fiori Musicali" (Biber) und einige andere Signations fast unangetastet, bei manchen erlaubte sich Werner schlicht einen passenden "Drei-Ton" davor zu setzen. (Beispiele dafür hören Sie auf Track 83.)

Außerdem komponierte Pirchner keine einzige Jazz-Signation. Er, der in den 1980er Jahren den Jazz zugunsten der klassischen Komposition komplett aufgegeben hatte, wollte hier bewusst Beispiele von verehrten Kollegen einsetzen, wie z. B. "74 miles away" von Joe Zawinul. Auf dieser CD finden sich alle Signations so, wie sie zuerst gedacht waren, zwei Beispiele auch dafür: Die Musik zum "Klassik-Forum" (ausgestrahlt Montag bis Freitag nachmittags) wurde wenig später für den "Klassik-Treffpunkt" verwendet. "Das Bücherviertel" wandelte sich zu "Kontext". etc. etc.. Die feinen Unterschiede bei den Literatur-Sendungen, das elegante gleichwie scharfe Abbiegen von den Mozart’schen Vorlagen oder der großartige Groove zeigen sich in vorliegender Aneinanderreihung noch einmal in ganzer Pracht.

ORF

Pirchner schickte seine fertig produzierten Signations meistens per DAT-Kassette nach Wien und versah sie mit Kommentaren und Ansagen. Diese sind allen Mitarbeiter/innen von damals in liebevoller Erinnerung geblieben. Die letzten neuen Signations komponierte er im September 1999.

Werner - mit dem der Schreiber dieser Zeilen die große Ehre hatte, befreundet gewesen zu sein - starb im Alter von 61 Jahren im August 2001: ein Schock für alle!

Für 15 Jahre übernahm Peter Kaizar die Aufgabe, neue Signations zu komponieren. Von den "Tonspuren" über "Rudi Radiohund" bis "Moment am Sonntag" und "Ö1 bis zwei" schuf Kaizar - durchaus im Sinne Pirchners, und doch mit profiliertem eigenen Sound - Eröffnungsmusiken, die schlicht und einfach großartig passten. An dieser Stelle sei daher Peter Kaizar ein großer Dank ausgesprochen. Wenn zum 50. Geburtstag von Ö1 am 1.10.2017 alle (und diesmal wirklich alle!) Sendungen neue Signations erhalten, dann wird damit ein sensationelles Projekt hörbar: Christian Muthspiel hat nicht nur alle Melodien und Klänge komponiert, sondern in Natura produziert, ein Riesen-Aufwand, von den Aufnahmesitzungen unseres ORFRadio-Symphonieorchesters bis zu den kleiner besetzten Studio-Sessions. Dass sich die ORF-Leitung zu diesem heutzutage schon beinahe luxuriös anmutenden Unternehmen entschlossen hat, liegt nicht zuletzt auch am Erfolg des Vorgängerprojekts, eben dem akustischen Design von 1994, von Werner Pirchner.

Albert Hosp, Mai 2017

Service

Werner Pirchner, "Ö1 Signations", ORF-CD788

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