Christian Muthspiel - ORF/JOSEPH SCHIMMER
Christian Muthspiel über Werner Pirchner
Kurz nachdem mein Bruder Wolfgang und ich unter dem Namen "Duo Due" Mitte der 1980er Jahre unsere erste LP "Schneetanz" veröffentlicht hatten, erhielten wir eine Postkarte eines von uns hochverehrten Jazzmusikers, eines Vorbildes und Wegweisers, den wir bis dahin persönlich anzusprechen gar nicht gewagt hätten: Werner Pirchner schrieb "LEIWAUND, weiter so". Das war wie ein Ritterschlag und motivierte ungemein.
20. September 2017, 05:00
Hat somit doch wirklich jemand - und welcher jemand! - da draußen in der weiten Welt jenseits des Horizonts steirischer Jazzgreenhorns wahrgenommen, dass hier zwei junge Musiker versuchten, einen eigenen Weg zu gehen und alle Kraft und Phantasie in diese eben erst begonnene Reise zu legen.
Extraplatte
Eine zweite Postkarte kam wenige Jahre später (inzwischen war ich mit "Pirchi" befreundet), nachdem mein erstes Musiktheaterwerk, die Kammeroper "Genesis … Zeiten/Plätze …" am Tiroler Landestheater in Innsbruck Premiere gefeiert hatte und von "der Kritik" (tatsächlich war es ein einziger Journalist, der jedoch vier österreichische und deutsche Zeitungen mit demselben Text versorgt hatte) total verrissen, in den Boden gestampft wurde. Werner hatte die Premiere besucht und schickte mir als Trost folgendes Kurzgedicht:
MANCH KRITIKUS -
NE TAUBE NUSS -
ALS ARSCH GEBOREN -
MIT OHNE OHREN
Werner Preisegott Pirchners Solidarität, Freundschaft und Humor, komprimiert in einem Kurzgedicht von Jandl´scher Prägnanz.
Als Seelenverwandte in Bezug auf das "Zwischen-den-Stühlen-Sitzen", das Pendeln vom Jazz zur sogenannten Klassik und wieder zurück, das als unbedingt notwendig erachtete Einzelkämpfertum abseits von Zugehörigkeiten zu bestimmten "Szenen" und "Schulen", auch in Bezug auf das Risiko eines Weges als nur von der eigenen Musik existierende Künstler, hatten wir bei unseren Begegnungen, die leider zu wenige waren, viel Stoff für lange - nächtelange - Gespräche und Sessions gegenseitigen Vorspielens unserer Lieblingsplatten. Das ging von Bruckner über Monk bis zu Strawinsky und Mingus. Das "halbe doppelalbum" kannten wir Jazzstudenten in Graz Anfang der 1980er Jahre auswendig, das "Jazzzwio" Pepl-Pirchner war eine Kultband (und für unser brüderliches Duo DAS Vorbild in punkto Timing, Groove und Eigenständigkeit), und später war Werners Entscheidung, dem Jazz als - international erfolgreicher - Instrumentalist Adieu zu sagen, um sich ganz und gar dem Komponieren hinzugeben, ein leuchtendes Beispiel des Mutes, seine Visionen nicht nur zu denken, sondern auch in realiter umzusetzen.
Werner Pirchner, dessen Jazzkompositionen seit vielen Jahren zu meinem Stammrepertoire gehören, auf Ö1 nachzufolgen, seinen wunderbaren Klang-Haikus, notierten Kurzgedichten, auf wenige Sekunden komprimierten Humoresken und symphonischen Kleinoden nun meine Version und Vision des Projektes "Signations" folgen zu lassen, ist wie die freundschaftliche Übergabe eines Staffelholzes von ihm an mich. Wie gerne hätte ich es persönlich aus seinen Händen entgegengenommen und dann, einander Musik vorspielend, von Mozart und Miles schwärmend, bei gutem Rotwein eine Nacht lang gemeinsam gefeiert.
Christian Muthspiel, Mai 2017