Marine Vacth und Jérémie Renie

SCOPE PICTURES/JEAN-CLAUDE MOIREAU

Film

"Der andere Liebhaber" von Francois Ozon

Der französische Regisseur Francois Ozon zählt zu den angesehensten und zugleich produktivsten Regisseuren seines Landes. Mit seinem neuen Film "Der andere Liebhaber" kommt jetzt ein Thriller in die Kinos, der auf verblüffende Weise mit den Grenzen von Form und Erzählstruktur spielt.

Mittagsjournal | 16 01 2018

"Vexierspiel, das auf vergnügliche Weise sein Publikum lenkt, täuscht, blendet und gleich wieder verblüfft"

Judith Hoffmann

"Es ist immer die Geschichte, die den Stil und das Genre eines Films vorgibt, den ich machen will." Francois Ozon

Kulturjournal | Interview

Meister der evozierten Reaktion

Lachen, Staunen, verhaltenes Kichern - die erste Sequenz von "Der andere Liebhaber" ("L’amant double") löste unweigerlich hörbare Reaktionen aus beim Premierenpublikum in Cannes: Ozon hatte es wieder einmal geschafft - er hatte die volle Aufmerksamkeit des ansonsten schon etwas lethargischen Festivalpublikums. Kaum vorstellbar, dass der Anfang des Films (wie auch der ganze Film) beim regulären Kinostart weniger wirkungsvoll sein wird. Überraschungen, spielerische Grenzgänge und Effekte aller Art sind schließlich die Spezialdisziplinen des 50-jährigen Franzosen.

Sehr frei nach Joyce Carol Oates

Der Roman "Lives of the Twins" von Joyce Carol Oates (verfasst unter dem Pseudonym Rosamond Smith) diente Ozon als Vorlage für seinen Psychothriller, Doppelgänger und Zwillinge hätten ihn schon lange als Filmmotive interessiert, sagt er. Allerdings habe er nur den Ausgangspunkt und die "seltsame, düstere und gleichzeitig spielerische Stimmung des Buches beibehalten", sich sonst, vor allem gegen Ende des Films, viele Freiheiten genommen: "Ich habe viel zu Zwillingen recherchiert und wusste gar nicht, dass es eine ganze Mythologie dazu gibt. Ich habe faszinierende Dinge erfahren, die zugleich beängstigend und spannend sind, und die ich unbedingt in die Geschichte einbauen wollte."

Verbotene Lust zu dritt

Im Zentrum der Geschichte steht das ehemalige Model Chloé (Marine Vacth), das an unerklärlichen Bauchschmerzen leidet, denen es nun durch eine Psychotherapie beikommen will. Schon nach wenigen Sitzungen werden die 25-Jährige und ihr Therapeut Paul (Jérémie Renier überzeugend in der Doppelrolle) ein Paar, ziehen zusammen und sind glücklich - bis sie von der Existenz seines Zwillingsbruders Louis erfährt und hinter Pauls Rücken mit ihm eine ebenso leidenschaftliche wie verhängnisvolle Affäre beginnt. Dem verständnisvollen Paul steht der forsche, fordernde Louis gegenüber, Chloé wechselt zwischen den Männern wie zwischen den Welten.

Nichts so, wie es scheint

Es ist, als sehe der Regisseur diesen Film als Aufforderung, die Thematik in all ihren Facetten und Abgründen darzustellen. Der Streifen wartet mit einer Vielzahl von Erzählebenen auf, die einander spiegeln, doppeln und ergänzen. Scheinbar mühelos wechselt der Regisseur von einer fiktiven Ebene zur nächsten, nur um im nächsten Moment gleich wieder mit ihr zu brechen. Hinter jeder Ecke lauert eine dramaturgische Überraschung, in jeder Kameraeinstellung verbirgt sich ein neuer Handlungsfaden.

Dazu kommt eine unbändige Spielfreude mit Kameraeinstellung und Montage - selten im Kino ist es wohl gelungen, derart poetisch von einer weit geöffneten Vulva zu einer Pupille und weiter in das verängstigte Gesicht einer Frau zu überblenden. Witz und Horror, Ironie und Spannung werden zu gleichrangigen Elementen des Films.

"Wir haben viel mit Spiegeln und Reflexionen, mit Split Screen und Zoom gearbeitet. Solche Dinge sind im klassischen Kino verpönt, aber im Thriller kann man sich das erlauben", sagt Francois Ozon, der für diesen Film erstmals von 35mm auf digital gewechselt hat, auch um die beabsichtigten scharfen, fast steril wirkenden Bilder realisieren zu können.

Unbedingte Empfehlung

Akribisch konstruiert wie die Bilder wirken auch die Schauplätze, an denen sich seine Protagonisten begegnen, so als hätte Ozon der Architektur der Stadt etwaige geometrische Formen und Figuren entlehnt und sie als symbolträchtige Eckpfeiler seiner filmischen Erzählung montiert.

"Der andere Liebhaber" ist ein Vexierspiel, das auf vergnügliche Weise sein Publikum lenkt, täuscht, blendet und gleich wieder verblüfft. Da ist die Ursache der eingangs geschilderten Bauchschmerzen nur einer von vielen triftigen Gründen, unbedingt ins Kino zu gehen.

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