Hände von Zeruya Shalev

HEIKE STEINWEG

Diagonal

Zeruya Shalev - Frieden ist wichtiger

2004 wird die Bestsellerautorin Zeruya Shalev bei einem Selbstmordattentat schwer verletzt. Ihre politischen Überzeugungen und ihre Beziehung zu den Palästinensern hat das nicht beeinflußt - im Gegenteil.

Am 29. Jänner 2004 fährt Zeruya Shalev, Bestsellerautorin und gelernte Bibelwissenschafterin in Rehávia, ihrem Viertel in Jerusalem, an einem Bus vorbei. Im selben Moment sprengt sich dort ein Selbstmordattentäter in die Luft. Es ist der insgesamt 137. Bombenanschlag seit Beginn der 2. Intifada im Jahr 2000. Ein 24-jähriger Polizist aus Bethlehem, hatte mit seiner Verlobten schon die Hochzeit geplant und sich dann doch für den "Märtyrertod" entschieden. 11 Menschen sterben, 50 werden zum Teil schwer verletzt, darunter Zeruya Shalev.

Zeruya Shalev

HEIKE STEINWEG

Zeruya Shalev

Sie wird aus dem Auto gerissen, auf den Asphalt geschleudert, verletzt, ins Krankenhaus gebracht, mehrmals operiert. Zehn Jahre später wird sie dieses "Beinahe-Sterben" im Roman "Schmerz" literarisch einarbeiten. Einarbeiten, nicht aufarbeiten, wie sie betont. Vom psychologischen Aufarbeiten traumatischer Erlebnisse mithilfe der Literatur hält sie nämlich nichts. Shalev schaut vielmehr, wie sich die große Geschichte für den Einzelnen anfühlt, spürt intimsten Gedanken und Gefühlen nach und schreibt sie nieder. So wie in ihrem ersten Erfolgsroman "Liebesleben" - hochgerühmt von Marcel Reich-Ranicki, der im Literarischen Quartett gesagt hat, er möchte Zeruya Shalev am liebsten "auf Knien" für dieses Buch danken.

Ihre politischen Überzeugungen habe das Attentat nicht beeinflusst, auch nicht ihre Beziehung zu den Palästinensern sagt Shalev: "Ich meine, ich hasse Terroristen, ich hege überhaupt keine Empathie ihnen gegenüber; aber ich hasse sicher keinen Palästinenser, der bereit ist, mit uns ins Gespräch zu kommen, um über Frieden zu reden."

Sie habe damit erst recht angefangen, aktiv zu sein, sich einzubringen, sagt die Endfünfzigerin mit dem Appeal einer Enddreißigerin: langes, dunkles Haar, Typ: zart aber zäh. Den Unfall sieht man ihr nicht mehr an, aber sie spürt ihr zerschmettertes Knie noch immer, kann nicht gehen, wie sie will, nicht laufen. "Aktiv sein" - das ist also weniger sportlich gemeint.

Ich glaube an Veränderung. In all meinen Büchern schreibe ich davon, dass Veränderung möglich ist.

So ist sie mit den Frauen der "Checkpoint Watch" unterwegs, stellt sich an einen der 600 Checkpoints zwischen israelischem und palästinensischem Gebiet im Westjordanland und schaut israelischen Soldaten auf die Finger, wie sie mit Palästinensern umgehen, die über die Grenze wollen. Die Prozedur ist erniedrigend, die Wartezeit oft stundenlang, und zusätzlich steigt die Macht, über Durchlassen oder zurückschicken der "anderen" entscheiden zu können, so manchem Grenzkontrollposten zu Kopf. Allein die Anwesenheit der Frauen bewirkt mehr Respekt und weniger Schikanen.

Graffiti in Israel

Kunst von Haim Steinbach: auf der Hauswand eines jüdischen Hauses steht in Arabisch das Wort "Halleluja".

ORF/INES MITTERER

Der Optimismus der kleinen Schritte

Die Autorin, die inzwischen von Jerusalem nach Haifa übersiedelt ist, ist auch Teil der "Women Wage Peace" Bewegung, der größten Grassroot Bewegung in Israel, bestehend aus mehreren 10.000 Mitgliedern: Jüdinnen, Araberinnen, Christinnen, Muslima, linke, rechte, Siedlerinnen. Deren gemeinsames Ziel ist es, zu einem "neuen Dialog" zu finden. Motto: Der Frieden ist wichtiger als meine Meinung.

Wir sprechen eine Sprache, die den anderen respektiert. Und ich glaube, das ist eine Art Revolution, eine langsame zwar, aber ich bin voller Hoffnung, dass das klappen könnte.

Wenn andere ziemlich pessimistisch sind und wohl auch Grund dazu haben, ist Zeruya Shalev zart optimistisch. Wenn der Karren im Großen verfahren ist, dann kann es am ehesten mit kleinen Schritten weitergehen, persönlichem Engagement, im Privaten, im alltäglichen Zusammenleben. Und darauf ist Zeruya Shalev nun wirklich spezialisiert.

Zeruya Shalevs Bücher erscheinen in der Übersetzung von Mirjam Pressler im Berlin Verlag.

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