Salzburger Nachtstudio

Spielregeln der Gemeinsamkeit. Die Macht und Wirkung von Ritualen. Gestaltung: Tina Plasil

Rituale sind so alt wie die Menschheit. Sie umfassen alles, was man gelernt hat und in einem bestimmten Ablauf tut. Sämtliche Alltagshandlungen sind ritualisiert. Sei es nun das Zeitunglesen beim Kaffee Trinken, die Wahl der immer gleichen Straßenseite am Weg zur Arbeit oder die Art und Weise, wie die Bettdecke gefaltet wird. Rituale stabilisieren, geben Halt. Sie helfen bei Angstzuständen, Depressionen und Selbstzweifeln und sollen sich sogar positiv auf das Immunsystem auswirken. Rituale reduzieren die Komplexität der Gesellschaft und machen dadurch das Leben einfacher.

Ein Beispiel: Beim Begrüßungsritual schüttelt man seinem Gegenüber die Hände; der Ablauf ist klar. Sobald solche Regeln aber aufweichen, muss man sich permanent entscheiden: Handschütteln, nur Guten-Tag-Sagen und Nicken oder doch ein Bussi auf die Wange? Oder zwei? Rituale geben Sicherheit. Sicherheit, keinen Fehler zu begehen, Sicherheit, einer Gemeinschaft anzugehören, und Sicherheit, dass die Welt beständig ist. Gemeinsame Rituale stehen auch seit jeher an der Schwelle zu einem neuen Lebensabschnitt, um den Übergang bewusst zu erfahren, zum Beispiel bei Geburt, Erwachsenwerden, Heirat und Tod. Gerad Sterbe-, Toten- und Trauerriten dienen der Unterstützung der Sterbenden oder Hinterbliebenen. In der Moderne sind die traditionellen ritualisierten Umgangsformen mit dem Tod zurück gegangen.

Rituale genießen allgemein schon seit längerem einen schlechten Ruf, weil sie als altmodisch, erstarrt und einengend gelten und der individuellen Entfaltung des aufgeklärten Menschen entgegenwirken. Trotzdem bedauern einige Menschen diesen Verlust und fühlen sich in schwierigen Lebenssituationen alleine gelassen. Sie begeben sich auf die Suche nach neuen Ritualen: Alte Traditionen werden revitalisiert und adaptiert, Reisen nach Asien, Afrika und Amerika ermöglichen das Kennenlernen von Gebräuchen und Riten anderer Kulturen. Und es zeigt sich: Rituale sind keine starren Verhaltensformen, sondern auch sie befinden sich wie die gesamte Kultur in einem ständigen Prozess des Entstehens und Vergehens.

Service

INTERVIEWPARTNER

Ulrike Kammerhofer-Aggermann, Volkskundlerin, Salzburg
Axel Michaels, Ethnologe, Heidelberg
William Sax, Ethnologe, Heidelberg
Gunther Schmidt, Arzt und Therapeut, Heidelberg
Henrik Jungaberle, Medizinische Psychologie, Heidelberg
Pierre Stutz, Autor und Theologe, Lausanne
Thomas Macho, Kulturwissenschafter, Berlin
Marianne Leuzinger-Bohleber, Analytikerin, Frankfurt am Main



Henrik Jungaberle, Rolf Verres, Fletcher DuBois (Hg.)," Rituale erneuern. Ritualdynamik und Grenzerfahrung aus interdisziplinärer Perspektive", Psychosozial-Verlag. 2006

Thomas Macho, "Das zeremonielle Tier: Rituale - Feste - Zeiten zwischen den Zeiten", Styria Premium. 2004

Pierre Stutz, "Alltagsrituale. Wege zur inneren Quelle", Kösel Verlag, 1998

Pierre Stutz, "50 Rituale für die Seele", Verlag Herder. 2011

Helga Maria Wolf, "Das neue Brauchbuch", Österreichischer Kunst- und Kulturverlag. 2000

Stefan Weinfurter, Gerald Schwedler, Claus Ambos, Stephan Hotz, "Die Welt der Rituale. Von der Antike bis heute", Wissenschaftliche Buchgesellschaft. 2006

Petra Kunze, Catharina Salamander, "Die schönsten Rituale für Kinder", Graefe und Unzer Verlag. 2008

Sendereihe