Gedanken für den Tag

Von Eric Frey. "Ritus und Ratio". Gestaltung: Alexandra Mantler-Felnhofer

Ab 8. Oktober feiern Jüdinnen und Juden Simchat Tora, das Fest der Torafreude - ein Dank für die Tora. Der auch als die biblischen "Fünf Bücher Mose" bekannte grundlegende heilige Text des Judentums enthält nach jüdischem Verständnis die Gebote und Weisungen Gottes.

Anlässlich dieses Festes setzt sich der Journalist und Politologe Eric Frey mit der Frage auseinander, warum aufgeklärte, moderne Menschen noch alte Texte lesen. Religionen schöpfen zumeist aus einem reichen Schatz an Überlieferungen, Traditionen und Ritualen - nicht alle davon sind heute unumstritten.

Für orthodoxe Jüdinnen und Juden sind die fünf Bücher Mose, die Tora, das Kernstück ihres Lebens. Sie halten sich Tag und Nacht an ihre oft nicht immer leicht verständlichen Vorschriften, die über die Jahrhunderte von Schriftgelehrten in 613 Gebote und Verbote gegossen wurden. Aber die Mehrheit der heutigen Juden, auch in Österreich, lebt nicht orthodox. Die meisten nennen sich traditionell, sie nehmen Teile der jüdischen Religion, ihrer Gesetze und ihrer Feste, in das Familienleben auf: Das Kerzenanzünden und die Segensprüche am Freitagabend, dem Beginn des Schabbat, die hohen Feiertage im Herbst; das Pessachfest, an dem sie sich an den Auszug aus Ägypten erinnern und eine Woche lang ungesäuertes Brot essen, die jüdische Hochzeit mit den Tänzen und dem Zerbrechen eines Glases, die Beschneidung ihrer Söhne am achten Tag nach der Geburt, und die Bar Mitzwa, das große Fest zum 13. Geburtstag, ab dem man als erwachsen gilt. Anderes lassen sie bleiben. Ein solches Judentum a la Carte ist für Orthodoxe ein Gräuel, aber für viele andere ein Verhalten, das das Leben schön und dennoch nicht zu kompliziert macht. Manche glauben dabei ganz fest an Gott, als Sinnstifter und Kompass für das eigene Leben. Aber für viele moderne Juden spielt das höhere Wesen im Himmel keine so große Rolle. Mein Verstand sagt mir, dass die Worte der Tora nicht alle stimmen können, dass die Rituale der Religion in der heutigen Welt keinen vernünftigen Zweck erfüllen. Doch während viele Katholiken und andere Christen sich von ihrer jeweiligen Kirche abwenden, wenn sie nicht mehr glauben, und von Religion nur noch ein paar Weihnachtslieder übrigbleiben, halten selbst säkulare Juden - wohl auch als Folge des Holocaust - an vielem von ihrem Erbe fest - weniger des Glaubens wegen sondern für den Erhalt der Tradition und des Wissens, wer sie eigentlich sind.

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Titel: GFT 121003 Gedanken für den Tag / Eric Frey
Länge: 03:50 min

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