Gedanken für den Tag

10. Oktober 2012, 06:56

Von der Tradition, der Erneuerung und der Angst

Ein halbes Jahr vor Konzilsbeginn besuchte Johannes XXIII. den Priester, Ratgeber und Freund Giuseppe de Luca. Nach einer erfolglosen Operation fühlte sich dieser dem Ende nahe. Das lange Gespräch mit dem Papst resümierte De Luca: "Dieser Mensch hat keine Angst vor der modernen Welt. Er spürt, worauf es ankommt. Mit dem Konzil wird er nicht nur der Kirche, sondern der Menschheit neue Horizonte eröffnen."

Johannes XXIII. war im besten Sinn des Wortes konservativ, das heißt, er wusste um den Wert der Tradition in seiner Kirche. Denn Tradition ist kein statischer, sondern ein eminent dynamischer Begriff. Tradition leuchtet in die Zukunft hinein - gerade dadurch auch, dass sie dem Vergangenen treu bleibt. So verstanden lebt das II. Vatikanische Konzil aus der Tradition, aber nicht in der Tradition (Wolfgang Beinert). Es kreist nicht um sich selber, sondern reicht das Feuer weiter. Angelo Giuseppe Roncalli war zeitlebens ein Bewahrer und Überbringer dieses Feuers. Als Papst weckte er damit eine neue Morgenröte. Coraggio! war eines seiner Lieblingswörter, Mut!

Der legendäre Konzilskommentator Pater Mario von Galli, auch so ein "Brandstifter des Geistes", hatte einmal eine sehr kurze Antwort auf die Frage, warum der weite Horizont manchmal wieder sehr eng erscheint. Er meint: "Es ist die Angst! Die meisten Bischöfe bibberten ja vor Angst, als sie 1965 vom Konzil nach Hause fuhren..." - Was würde geschehen, wenn jetzt wirklich die Fenster geöffnet würden, und am Ende auch noch die Türen?

Angst und Erneuerung sind kein gutes Gespann. Der Geist dieses Konzils steckt - auch heute - in den drei wunderbaren biblischen Worten: "Fürchtet euch nicht!"

Service

Buch, Hubert Gaisbauer, "Ruhig und froh lebe ich weiter", Wiener Domverlag

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