Gedanken für den Tag

7. November 2012, 06:56

Vom Hinhören

"Was hast Du mit mir vor, lieber Gott?", lässt Ödön von Horvath in seinem Volksstück "Geschichten aus dem Wienerwald" die Tochter des Zauberkönigs in ihrer verzweifelten Situation fragen.

Vor dem Seitenaltar des heiligen Antonius im Stephansdom hatte sie zuvor ein Beichtgespräch, in dem ihr nahe gelegt wurde, zu bereuen, dass sie ihr Kind empfangen und geboren hatte.

"Die Glocken verstummen, und es ist sehr still auf der Welt", heißt es bei Horvath zu der Szene. Die Stille ist eisig, beklemmend und abgrundtief zugleich.

"Was hast Du mit mir vor, lieber Gott?"

In fünfzig Aufführungen des Wiener Burgtheaters habe ich als Mitwirkende diesen aus tiefer Not an Gott gerichteten leisen Schrei bewegt mit angehört.

Seltsamer Weise hat er mich aber immer wieder anders und neu berührt. Sicher zumeist desperat. Aber manchmal schwangen andere Farbtöne mit: Verwirrtheit, Angst und Trauer, aber auch echtes kindliches Fragen, vielleicht mit einer Spur schwindelerregender Hoffnung? Vielleicht ein Schimmer Vertrauen, sogar Neugierde trotz der scheinbaren Aussichtslosigkeit?

Ich habe nie mit der Schauspielerin, die Marianne verkörperte, darüber gesprochen. Es blieb ein persönliches Erleben, das mich bis heute begleitet.

Letztlich ist es nicht weniger der Hörer, die Hörerin, das jeweilige Hinhören, das maßgeblich zur Deutung des Gehörten beiträgt.

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