Zwischenruf

von Christine Hubka (Wien)

Das Sparbuch der Oma

Ein paar Wochen lang war das Sparbuch der Oma in aller Mund.
Dieses dürfe nicht angetastet werden, bekam ich tagelang versichert.
Da habe auch die Finanz nicht hineinzuschauen.
Und die ausländischen Neugiersnasen sowieso nicht.

Aufmerksam lauschte ich den Debatten über dieses,
offenbar einzig bedeutsame, Sparbuch der Nation: das Sparbuch der Oma.
Noch aufmerksamer wartete ich darauf,
dass endlich auch einmal Opas Sparbuch zur Sprache kommt.
Ich bin nicht sicher, ob ich es überhört habe,
oder ob davon tatsächlich nie die Rede war.

Die Fragen nach dem Sparbuch des Opas lassen mich nun nicht mehr los:
Vielleicht hat er ja gar kein Sparbuch,
weil er sein gesamtes Geld am Monatsersten brav der Oma abliefert.
Sie wirtschaftet dann damit und gibt ihm pro Woche 50.- Euro Taschengeld.
Oder er hat sein Geld lieber in Wertpapieren angelegt.
Seit der großen Krise ist nun alles weg.
Der Opa hatte es gerne risikoreich.
Nur das Sparbuch der Oma ist geblieben.
Mit den Groschen, die sie sich vom Mund und vom Wirtschaftsgeld abgespart hat.
Zu einem minimalen Zinssatz brachte sie das Geld in Sicherheit.
Nach Meinung des Opas,
versteht sie von Gelddingen rein gar nichts.
Wie alle Frauen, so sagt er.

Vielleicht ist der Opa aber auch schon längst verstorben.
Das Sparbuch hat er der Oma als Erbe hinterlassen,
die dafür die damals noch vorgeschriebene Erbschaftssteuer gezahlt hat.

Schließlich, und das scheint mir am wahrscheinlichsten zu sein,
ist der Opa weder tot,
noch hat er sein Geld verspekuliert.
Er liefert es auch nicht komplett der Oma ab.
Der Opa heißt einfach nicht Opa.
Sondern Herr Meyer.
Trotz der vier Enkelkinder
käme keiner auf die Idee zu ihm "Opa" zu sagen.
Herr Doktor, Herr Hofrat. Herr Ingenieur.
Herr Nachbar. Herr Kollege.
Franz oder Fritz, sagen die Leute zu ihm.
Manchmal auch ein wenig despektierlich "der Alte".
Opa sagen jedenfalls nur seine Enkelkinder zu ihm.

Inzwischen hat die österreichische Politik
zu einer Entscheidung für Omas Sparbuch gefunden:
Das Geheimnis über dessen Inhalt bleibt gewahrt.
Als dies verkündet wurde,
mutierte die Oma in den Nachrichten zur Großmutter.

Was macht nun die Oma mit dem weiterhin geheimen Sparbuch?
Wenn sie Besuch von den Enkerln erwartet,
geht sie vielleicht auf die Bank und hebt ein paar Scheinchen ab.
"Schön, dass ihr da wart. Kommt's bald wieder", sagt sie zum Abschied.
Und steckt den Enkerln mit zitternden Händen einen Zwanziger zu.

Viel wahrscheinlicher scheint es mir jedoch,
dass die Oma gar kein Sparbuch hat.
Sie folgt dem Vorbild der starken biblischen Frauengestalten.
Der Deborah, zum Beispiel, die eine Richterin und Feldherrin war.
Nach Kräften hat sie sich für Gerechtigkeit und Frieden eingesetzt.
Mit den Mitteln die ihr damals zur Verfügung standen.

Frau Meyer, die von niemandem außer den Enkeln Oma genannt wird,
tut dies auch.
Mit den Mitteln, die ihr heute zur Verfügung stehen.
Ihr Geld legt sie bei einer Organisation an, die Mikrokredite vergibt.
Die Rendite der Geldanlage beträgt in der Regel 2 % im Jahr.
Das ist nicht viel, aber mehr als am Sparbuch.
Frau Meyers Geld hilft Frauen in Bolivien, in der Ukraine oder Tansania,
kleine Unternehmen zu gründen und ihre Familie über die Runden zu bringen.

Vielleicht ist es der Frau Meyer, die ihre Enkelkinder Oma nennen,
auch wichtig, den Ausbau von Solarkraftwerken zu fördern.
Sie will, dass auch ihre Urenkel noch in einer gesunden und lebenswerten Welt aufwachsen.
Dann hat sie mit ihrem Geld Anteile am Bürgerinnen-Kraftwerk gekauft.

So wie die starken Frauen in der Bibel,
schaut sie sich um in der Welt.
hört genau hin und entscheidet dann, was sie tut, um mit ihren Mitteln
Ein wenig zu Frieden und Wohlergehen anderer beizutragen.
Und Oma dürfen nur die Enkelkinder zu ihr sagen.

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