Radiodoktor - Medizin und Gesundheit

Was ist schon normal? - Moderne Kinder- und Jugendpsychiatrie

"Die Jugend von heute liebt den Luxus, hat schlechte Manieren und verachtet die Autorität." Diese Aussage soll schon Sokrates getätigt haben.
Es hat also Tradition, dass die Erwachsenen mit der Achterbahnfahrt der Gefühle und der Rollenunsicherheit Heranwachsender so ihre liebe Not haben.
Eltern wissen: Jedes Kind ist anders, jeder Jugendliche reagiert unterschiedlich auf bestimmte Lebensumstände. Die individuellen Unterschiede führen zu einer großen Bandbreite von Verhaltensmustern, von denen die meisten - auch wenn sie den Erwachsenen nicht gefallen - zu einer normalen, gesunden Entwicklung von Heranwachsenden gehören. Kommt es jedoch zu einem Übermaß emotionaler Reaktionen, zu nicht erklärbaren Veränderungen des Verhaltens, zu Gewalt gegen andere oder sich selbst, zu einem beunruhigenden Essverhalten oder Anzeichen einer Sucht, so sollte rechtzeitig professionelle Hilfe in Anspruch genommen werden.
"Rund 20 Prozent der unter 18-jährigen zeigen psychische Auffälligkeiten, die Hälfte davon ist behandlungsbedürftig", erläutert der Salzburger Kinder- und Jugendpsychiater Leonhard Thun-Hohenstein.
Die Erkrankungsbilder und Probleme, die in sein Fachgebiet fallen, sind sehr unterschiedlich - einige davon in alphabetischer Reihenfolge: Angststörungen, Aufmerksamkeits-Regulationsprobleme, Autismus, Folgen einer akuten Belastungssituation, Bettnässen, Depression, Epilepsie, Ess-Brech-Sucht, Magersucht, neurodegenerative Erkrankungen, die Neurorehabilitation nach Schädel-Hirntrauma, Psychosen, Schreibabys, Schüchternheit, Selbstmord-Versuche, Somatisierungsstörungen, Sozialphobien, Stoffwechsel-Erkrankungen, Störungen des Sozialverhaltens, Teilleistungsschwächen, Überforderungsgefühl, Zwangsstörungen... und viele andere mehr.
Eine generelle Zunahme psychiatrischer Erkrankungen bei Kindern und Jugendlichen könne zwar nicht beobachtet werden, sehr wohl hingegen eine Verschiebung in Richtung Essstörungen und auffälligem sozialem Verhalten. Zudem treten bestimmte psychiatrische Störungen heutzutage bereits in jüngerem Lebensalter auf. Kinderpsychiater führen dies, neben dem früheren Eintritt in die Pubertät, auch auf einen erhöhten sozialen Druck zurück, der auf vielen Jugendlichen lastet.
Die "multisystemische Therapie", die auch die Familie und das soziale Umfeld miteinbezieht, ermöglicht in vielen Fällen eine Besserung. Von 100 psychisch erkrankten Kindern, die behandelt werden, benötigen nur mehr 25 auch im Erwachsenenalter noch eine Therapie. Die Versorgungslage im Bereich der Kinder- und Jugendpsychiatrie ist jedoch weit vom international geforderten Standard entfernt, es fehlt an Akutbetten und niedergelassenen Fachärzten. Nach wie vor werden psychische Erkrankungen verdrängt und gelangen erst in das öffentliche Bewusstsein, wenn kriminelle Handlungen im Spiel sind.

Radiodoktor Univ.-Prof. Dr. Manfred Götz beleuchtet mit seinen Gästen dieses verhältnismäßig junge Fachgebiet und zeigt die vielfältigen Möglichkeiten auf, mit denen den jungen Patientinnen und Patienten geholfen werden kann.

Eine Sendung von Dr. Ronny Tekal.
Redaktion: Dr. Christoph Leprich

Service

Dr.in Sabine Fiala-Preinsperger (Fachärztin für Kinder- und Jugendpsychiatrie)
Univ.-Prof. Dr. Leonhard Thun-Hohenstein (Facharzt für Kinder- und Jugendpsychiatrie,
Vorstand der Universitätsklinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie, Christian-Doppler-Klinik Salzburg)


Österreichische Gesellschaft für Kinder- und Jugendpsychiatrie
Uniklinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie, MedUni Wien
Uniklinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie, MedUni Innsbruck
Abteilung für Kinder- und Jugendpsychiatrie und -psychotherapie - Landesnervenklinik Sigmund Freud Graz
ORF Servicetelefon "Rat auf Draht" - Telefonnummer 147 (ohne Vorwahl aus ganz Österreich); kostenlos und anonym
Liste österreichweiter Kriseninterventionsstellen
Österreichischer Bundesverband für Psychotherapie
Österreichische Gesellschaft für Kinder- und Jugendlichenpsychotherapie
Österreichische Vereinigung für Kinder- und Jugendlichenpsychotherapie und ihre angrenzenden Berufsfelder
Liste österreichischer Kinderschutzzentren+01d0195b252fd7380000170c+1+94+209
Berufsverband Österreichischer Psychologinnen und Psychologen mit Links zu Anlaufstellen für Kinder und Jugendliche
Website der Psychosozialen Zentren
Expertenstatements zu psychischen Erkrankungen von Kindern und Jugendlichen
Infos des Bundesministeriums für Gesundheit
Netdoktor über psychische Erkrankungen bei Jugendlichen

Christiane Nevermann, Hannelore Reicher, "Depressionen im Kindes- und Jugendalter: Erkennen, Verstehen, Helfen", Verlag C.H.Beck 2009

Michael Winterhoff, "SOS Kinderseele: Was die emotionale und soziale Entwicklung unserer Kinder gefährdet und was wir dagegen tun können", C. Bertelsmann Verlag 2013

Manfred Döpfner, Stephanie Schürmann, "Wackelpeter und Trotzkopf: Hilfen für Eltern bei ADHS-Symptomen, hyperkinetischem und oppositionellem Verhalten", Beltz Verlag 2011

Sendereihe