Zwischenruf

von Pfarrerin Margit Geley (Salzburg)

"Masken ab - ich zeige dir mein Gesicht!"

Nach der freundlichen Anmoderation und diesen ersten wenigen Worten haben Sie sich schon ein Bild von mir gemacht. Das passiert ganz von selbst und das ist gut so.

Hier im Radio ist es aber auch ein Vorteil, dass Sie mich nicht sehen können.

Sie können nicht sehen, dass ich eine zweite Kultur in mir beherberge. Sie können nicht sehen, dass ich ein zweites Land in mir trage. Sie können auch nicht hören, dass ich schon als Kind eine zweite Sprache gesprochen habe. Sie können nicht sehen, dass mein Vater nicht aus diesem Österreich stammt.

Mein Vater ist mit einer großen Zahl anderer Menschen nach Österreich gekommen. Er ist auf den Bahngleisen zu Fuß in Richtung unserer Grenze unterwegs gewesen. Hinter sich hat er ein Land in Aufruhr und Gewalt gelassen. Allerdings sind die Grenzen damals noch offen gehalten worden. Er ist an der Grenze mit Handschlag begrüßt worden. Er hat um Asyl angesucht.

Vor einiger Zeit habe ich ihn gefragt, wie das damals eigentlich war und er hat mir erzählt: "Weißt du, wir sind mit großer Herzlichkeit aufgenommen worden. Hier sind uns alle Türen geöffnet worden, es hat plötzlich eine Zukunft und ein Leben gegeben. "

Mein Vater ist 1956 aus Ungarn gekommen. An meinem Aussehen könnten sie mein anderes Land an mir nicht sehen.

Ein Schüler von mir hat eine ähnliche Geschichte. Seine Mutter stammt aus Österreich, sein Vater aus einem anderen Land. Allerdings stammt sein Vater aus Afrika. Man kann an seiner Hautfarbe diese zweite Heimat sehen, diese zweite Kultur, die ihn ausmacht. So wird er in manche Lokale nicht hineingelassen, weil er "Ausländer" sein soll -er, ein gebildeter junger Österreicher.

Das Radio ist ein wunderbares Medium, es hilft, Masken kleiner werden zu lassen, weil wir nicht alles sehen können.

Auch unsere Sprache stellt Masken auf, Eine Maske heißt "Flüchtling", eine andere "Asylwerber", eine weitere "Ausländer".

Die Menschen, die im Moment in großer Zahl zu uns kommen, sind einfach Menschen. Sie haben einen Namen und eine Geschichte. Ein ertrunkenes Kind heißt Aylan Kurdi. Hinter den Wörtern Flüchtling und Asylwerberin werden Menschenversteckt. Sie werden als Naturgewalt und Welle bezeichnet, oder als Strom. Mit dieser Sprache wird Angst erzeugt, wird Distanz aufgebaut.

Es sind Menschen, die Frieden wollen. Es sind Menschen, die in Ruhe leben möchten, die keinen Krieg suchen. Mir fällt dazu das alte Sprüchlein aus den 70erJahren ein: "Stell dir vor, es ist Krieg und keiner geht hin!"

Wenn hier bei uns so eine Katastrophe ausbrechen würde, wenn hier bei uns in Österreich so ein Krieg wäre, wie in Syrien. Da würden mein Mann und ich auch unser Geld zusammennehmen und zuerst versuchen, unseren 20-jährigen Sohn in Sicherheit zu schicken.

Die jungen Männer, die hier ankommen, sind Söhne von Eltern, die ihre Kinder nicht in einen sinnlosen Krieg schicken wollen. Die erwachsenen Männer sind oft Väter, die für ihre Familien einen sicheren Platz suchen und dafür ihr Leben riskieren. Dann würde ich meine Töchter nehmen und Sicherheit suchen. Ich würde versuchen, meine Kinder in ein Land zu bringen, indem wir in Frieden leben können.

Als mein Vater geflüchtet ist, da war die Grenze offen. Er ist aus einem Ungarn gekommen, das ihm keine Zukunft und wahrscheinlich nur den Tod geboten hätte. Die Grenzen waren kurzzeitig offen.

Für mich als "Kind" wurde später diese Grenze Teil meines Lebens. Diese Grenze war dann furchtbar. Sie war bewacht mit Schlagbäumen und Stacheldrähten. Da waren immer Grenzbeamte mit großen Maschinengewehren. Wir haben die Großeltern besucht, die Eltern von meinem Vater. Er selbst hat vor der Grenze stehen bleiben müssen. Er hat drei Jahrzehnte die Grenze nicht überqueren dürfen. Ich habe immer Angst gehabt an dieser Grenze zu Ungarn.

Vor etwa zwanzig Jahren ist der Zaun durchschnitten worden. Und als ich das erste Mal meinen Pass nicht habe herzeigen müssen, das war ein unglaubliches Gefühl der Befreiung.

Ich hoffe so sehr, dass die Masken und Grenzen zwischen uns Menschen fallen.

In meinem Leben gibt es eine zweite kultur und eine zweite Sprache, die mein Leben reich und vielfältig macht. "Isten hozzot" - sagen wir auf Ungarisch: "Gott hat dich gebracht", bedeutet es wörtlich - "Willkommen", heißt es auf Deutsch.

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