Da capo: Im Gespräch

"Die Aufklärung verteidigen heißt die Moderne verteidigen!"
Michael Kerbler und Alexandra Föderl-Schmid ("Der Standard") im Gespräch mit Susan Neiman, Philosophin

Wenn STANDARD-Chefredakteurin Alexandra Föderl-Schmid und ich mit unserem Gast, der Philosophin Prof. Susan Neiman über "Moral und Politik" sprechen, und dabei auch über die entsprechenden Passagen ihres Buches "Moralische Klarheit" debattieren werden, dann kommen wir an einer Person nicht vorbei: an Immanuel Kant und der "Aufklärung".

In einem Aufsatz der Berlinischen Monatszeitschrift, dem führenden Organ der deutschen Aufklärung, beantwortete Immanuel Kant im Jahr 1784 die Frage "Was ist Aufklärung?" folgendermaßen:
"Aufklärung ist der Ausgang des Menschen aus seiner selbstverschuldeten Unmündigkeit. Unmündigkeit ist das Unvermögen, sich seines Verstandes ohne Leitung eines andern zu bedienen. Selbstverschuldet ist diese Unmündigkeit, wenn die Ursache derselben nicht aus Mangel des Verstandes, sondern der Entschließung und des Mutes liegt, sich seiner ohne Leitung eines andern zu bedienen. 'Sapere aude! Habe Mut, dich deines eigenen Verstandes zu bedienen!' ist also der Wahlspruch der Aufklärung."

Ein wesentlicher Baustein ist Kants Schrift "Zum ewigen Frieden". Diese Schrift, sie datiert aus 1795, befasst sich mit dem Weg, mit den Mitteln, den Strategien, wie dieser Friede zu erreichen ist. Kant wählte eine formal interessant gestaltete Form seines Konzepts vom ewigen Frieden: er schrieb seine Überlegungen in der Form eines Friedensvertrages nieder. Wichtig sind die Inhalte der drei Definitivartikel: im ersten wird die Frage nach der besten Verfassung zum Erhalt des Friedens gestellt. Im zweiten Definitivartikel wird ein föderalistisches System gefordert, ein Friedensbund, der sich allmählich auf alle Staaten ausdehnen soll - eine Art Völkerbund soll entstehen. Und schließlich wird im dritten Artikel ein Weltbürgerrecht festgeschrieben.

Für die deutsch-amerikanische Philosophin Susan Neiman gehören die Verteidigung der Aufklärung und das Festhalten an einer Vision von Europa eng zusammen. Sie hält die Aufklärung für "Europas beste Erfindung, obwohl gerade das den Europäern am wenigsten klar zu sein scheint". Neiman vertritt nicht erst seit den jüngsten krisenhaften Entwicklungen in Europa die Meinung, dass "Europa eine neue Aufklärung" braucht. In ihrem jüngsten Buch "Moralische Klarheit" geht es der Autorin um eben die Wiederbelebung der Aufklärung im Sinne Immanuel Kants. Mit brisantem Bezug zur politischen Gegenwart. Denn Susan Neiman geht es darum, den evangelikalen Christen und anderen konservativen Bewegungen die Deutungshoheit über Werte wie Idealismus, Moral und Heldentum zu entwinden.

Wenige Tage vor der Wahl des amerikanischen Präsidenten gewinnt das Gespräch, in dessen Mittelpunkt das Verhältnis von Moral und Politik steht, besondere Aktualität.

Service

Susan Neiman, "Moralische Klarheit - Leitfaden für erwachsene Idealisten", Verlag Hamburger Edition (ISBN 978-386854-223-3)

Henry David Thoreau, "Über die Pflicht zum Ungehorsam gegen den Staat und andere Essays", Essaysammlung, Übersetzung, Nachwort und Anmerkungen von Walter E. Richartz, Diogenes Verlag Zürich (ISBN 3-257-20063-3)

Heiner Flassbeck, "Die Marktwirtschaft des 21. Jahrhunderts", Westend-Verlag, Frankfurt/Main (ISBN 978-3-938060-54-4)

Heiner Flassbeck, "Gescheitert. Warum die Politik vor der Wirtschaft kapituliert", Westend-Verlag, Frankfurt/Main (ISBN 978-3-938060-22-3)

Heiner Flassbeck und Friederike Spiecker, "Das Ende der Massenarbeitslosigkeit. Mit richtiger Wirtschaftspolitik die Zukunft gewinnen", Westend-Verlag (ISBN 978-3-938060-20-9)

John Kenneth Galbraith, "Ein kurze Geschichte der Spekulation", mit einem neuen Vorwort von Uwe Jean Heuser, Eichborn, Frankfurt/Main (ISBN 978-3-8218-6511-9)

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