Menschen verändern ihre Stadt

Community Organizing

In einer eigenen Schriftenreihe beschäftigt sich der Verlag der Körber-Stiftung mit Ideen und Initiativen aus den USA, die man auch nach Europa übertragen könnte. Zum Beispiel Community Organizing, einem Phänomen, dem Leo Penta in seinem Buch nachgeht.

Community Organizing ist den Prinzipien von Selbstbestimmung, Selbstverantwortung, sozialer Gerechtigkeit und Solidarität verpflichtet. Im Kräftespiel gegenüber der scheinbaren Allmacht von Staat und Wirtschaft setzt Community Organizing auf die demokratische Macht von Bürgern, die sich organisieren und so handlungs- und durchsetzungsfähig werden.

Die Idee zum Community Organizing hatte der 1909 im Chicagoer Getto geborene Saul Alinsky. Mit 21 Jahren verließ er die Universität und begann, sich um streikende Bergarbeiter, hungrige Studenten und verzweifelte Gefängnisinsassen zu kümmern.

In den Chicagoer Slums

In den 1930er Jahren wurde Alinsky klar, dass es nicht genügt, immer nur die Symptome zu bekämpfen; er wollte wirklich etwas ändern. Und begab sich in das Chicagoer Viertel "Back of the Yards". Dieses Elendsquartier hinter den Schlachthöfen wurde durch Upton Sinclairs Roman "Der Dschungel" weltweit berüchtigt. Es war das schlimmste Slum in Amerika.

Die Leute sagten zu mir: "Saul, du bist verrückt. Versuche es an jedem anderen Ort, aber nicht in 'Back of the Yards'. Das ist unmöglich." Damals erschien den meisten Menschen der Gedanke, dass Arme die Intelligenz und den Einfallsreichtum besitzen, um ihre eigenen Problem zu lösen, wie Ketzerei. Aber je häufiger mir gesagt wurde, dass es unmöglich sei, umso entschlossener war ich, es voranzutreiben.

Macht muss man sich nehmen

Der erste Schritt beim Community Organizing - das ist heute noch genau so wie damals - besteht darin, den Leuten ihre Rechtfertigung für die eigene Trägheit zu nehmen. Sprüche wie "Da kann man nichts machen, das war schon immer so, wir haben keine Macht und sind nur Opfer" hatten bei Alinksy keine Chance. "Es sind eure Probleme", pflegte er zu sagen, "ihr müsst mit dem ganzen Mist fertig werden. Ihr könnt etwas ändern, wenn ihr Macht habt. Also nehmt euch diese Macht."

Um die Macht zu erkämpfen, darf man nicht zimperlich sein. Mit schönen Sonntagsreden und naiven Appellen an Nächstenliebe kommt man nicht weit. Alinsky und seine Verbündeten zeigten den Ausgebeuteten, wie sie eine Gewerkschaft organisieren und so höhere Löhne bekommen könnten; den örtlichen Händlern zeigten sie, wie ihre Gewinne steigen würden, wenn es höhere Löhne gäbe; und den Mietern zeigten sie, wie sie gegen den Mietwucher ankämpfen können. Und plötzlich entstand in dieser Jauchegrube des Hasses eine Koalition aus Arbeitern, örtlichen Geschäftsleuten, Arbeiterführern und Hausfrauen.

Befähigung statt Betreuung

1972 starb Saul Alinsky. Seine Ideen aber leben in der von ihm gegründeten "Industrial Areas Foundation", der IAF weiter. Die Ziele der IAF sind einfach. Sie wollen den Mensch helfen, ihre Lebensbedingungen zu verändern. Aber - und das ist der große Unterschied zu anderen Organisationen - sie haben keine fixen Rezepte. Und sie bringen auch kein Geld mit. Die Leute müssen sich selbst helfen. Sie müssen ihr Leben in die eigenen Hände nehmen. "Befähigung statt Betreuung" heißt das Motto.

In den USA ist dieser Gedanke nichts Besonderes, in Europa aber stößt dieses Denken noch immer auf Unverständnis. Vor allem in Deutschland und Österreich ist man gewohnt, dass doch bitte der Staat die Probleme lösen soll. Man selbst nörgelt herum, oder schreibt höchstens mal einen Leserbrief.

Du hast es in der Hand

Das von Leo Penta, dem Leiter des 2006 gegründeten Deutschen Institutes für Community Organizing, herausgegebene Buch ist eine überaus spannende Lektüre. "Du hast es in der Hand, dein Leben und deine Umwelt zu ändern". Diese Aussage zieht sich durch alle Beiträge. Auch wenn nicht alles gelingt, auch wenn vor allem in Europa dem Gedanken der Selbstermächtigung gehörige Zweifel entgegenschlagen: Dieses Kompendium macht Mut. Und es ist zu hoffen, dass sich viele davon anstecken lassen.

Wer etwas verhindern will, findet Einwände, wer etwas ermöglichen will, findet Wege.

Hör-Tipp
Kontext, jeden Freitag, 9:05 Uhr

Buch-Tipp
Leo Penta (Hrsg.), "Community Organizing. Menschen verändern ihre Stadt", edition Körber-Stiftung, 2007, ISBN 978-3896840660