Schläge als Erziehungsmittel

Dreckskerl

Mit seinem Debütroman "Dreckskerl" gelang Wojciech Kuczok ein großer Erfolg. Er erhielt den wichtigsten polnischen Literaturpreis und das Buch wurde erfolgreich verfilmt. Jetzt ist der nur 174 Seiten umfassende Roman auf Deutsch erschienen.

Das Geheimnis des Erfolgs des Buches liegt vor allem darin, dass Wojciech Kuczok hochgradig authentisch erzählt, Stoff und Schauplätze aus intimer Nähe kennt, aber sich nicht darauf verlässt; nicht der Inhalt, sondern Komposition und Sprache heben diesen Roman aus vielen anderen Neuerscheinungen heraus.

"Dreckskerl" spielt in Schlesien, und alles, was geschieht, konzentriert sich auf ein Haus: Der Großvater des Ich-Erzählers hat es gebaut, und der Vater, der nur "der alte K." genannt wird, führt darin sein kleinbürgerliches Schreckensregiment. "Damals" heißt der erste Teil und hat die Zeit im Blick, in der man noch Personal hatte und sich für seinen Tod einen schönen Eichensarg wünschte. Doch was bleibt davon? "Keinerlei Spuren. Keinerlei Traditionen. Und alles für die Katz" heißt es am Schluss - der Krieg greift massiv in die Geschichte des Familienclans ein.

Von der Kindheit in die Jauche

"Dann" ist der mit über 100 Seiten umfangreichste Mittelteil überschrieben. Er vergegenwärtigt das Personal des Kindheitsgefängnisses des Ich-Erzählers: den Vater, der die brutalen Schläge mit der Peitsche als Ritual zelebriert, die gedemütigte Mutter, die nicht für ihn einstehen kann, die bigotte Tante und den versoffenen Onkel mit seinen Pornofilmen. Und den Ich-Erzähler, der in der Schule wie in der nahen Siedlung abgestoßen und ausgegrenzt wird.

"Dreckskerl" - so beschimpft ihn sein Vater. Das polnische Wort "Gnój" kann aber auch Jauche heißen. Und in der versinkt das Haus mit seinen Alpträumen am Schluss, dem kurzen Kapitel "Danach" - ein überraschend surrealistisches Ende nach so viel psychologischer Genauigkeit und den Details schlesischen Alltagslebens der 1970er und 1980er Jahre.

Aufwachsen mit Schlägen

Wojciech Kuczok hat sehr individuelle Erfahrungen, aber zugleich eine generationstypische Sozialisation in der polnischen Provinz der 1970er und 1980er Jahre nachgezeichnet. Er erzählt von den Wirkungen, die das in seinem Land hatte:

"Ich glaube, dass damals solche Erziehungsmittel wie die Peitsche und das Schlagen nicht als Pathologie verstanden wurden. Eine Weile nach Erscheinen des Buches hat man eine Werbekampagne gestartet: Ganz Polen schlägt die Kinder. Das war eine soziale Werbung, die diesem Problem entgegenwirken sollte. Nach meinem Buch entstand eine große Diskussion zum Thema Schlagen und Kindererziehung, und ich hoffe, dass das Buch geholfen hat, das Problem zu verringern. Jedenfalls hat es die Aufmerksamkeit der Menschen darauf gelenkt."

Perfekt komponierter Text

Wurde der Roman nach seinem Erscheinen 2003 sogar in Schulen gelesen - "damals lebte ich noch in einem normalen Polen", bemerkt Wojciech Kuczok bissig -, so herrschen dort heute ganz andere Vorstellungen von Literatur und Kunst. Die derzeitige Regierung repräsentiert geradezu jene Haltungen, sowie die vom Kommunismus wie vom Katholizismus deformierten Schichten, die der Roman "Dreckskerl" so schmerzhaft-großartig karikiert.

Kuczok hat während des Schreibens viel Thomas Bernhard gelesen, aber er ist seiner Tonart nicht erlegen, sondern fähig, in ihr sozusagen weiter zu improvisieren. Staunend registriert man die kalkulierten Wortspiele und Wendungen, die gezielten Wiederholungen, doch man braucht beim Lesen keineswegs pedantisch aufpassen, dass einem nichts davon entgeht - der Text ist nicht artifiziell konstruiert, sondern so überzeugend komponiert, dass er seine Wirkung hat.

Gelungene Übersetzung

Das glühende Lektüreerlebnis, das dieser schmale hoch strukturierte Roman auslöst, liegt zweifellos auch an der Übersetzung. Eine deutsche und eine polnische Übersetzerin, beide mit umfangreicher literarischer Erfahrung, haben für den vorliegenden Text zusammengearbeitet. Sie mussten vor allem die dialektale Sprechweise der Romanfiguren wiedergeben und haben sich dabei glücklicherweise nicht für ein "echtes" Schlesisch entschieden, das diese Prosa mit einem nostalgischen Ton aufgeladen hätte, sondern einen Kunst-Dialekt konstruiert und so auf ihre Weise die realistische Ebene und die künstlerische Komposition dieses Textes überzeugend realisiert.

Rundum ein Glücksfall also, ein selten perfektes und gleichzeitig ein unmittelbar lebendiges Buch.

Hör-Tipp
Ex libris, jeden Sonntag, 18:15 Uhr

Buch-Tipp
Wojciech Kuczok, "Dreckskerl. Eine Antibiografie", aus dem Polnischen übertragen von Gabriele Leupold und Dorota Stroinska, Suhrkamp Verlag, 2007, ISBN 978-3518418840