KZ Auschwitz: Die Österreicher waren die Ärgsten

Holocaust und Kriegsverbrechen vor Gericht

Auschwitz ist heute Symbol des Verbrechens, Chiffre für die Einmaligkeit der NS-Verbrechen und der Mittäterschaft Deutscher und Österreicher. Doch kein Österreicher ist je wegen Gräueltaten in Auschwitz vor einem heimischen Gericht verurteilt worden.

Auschwitz-Überlebende Susan Cernyak-Spatz erinnert sich

Rund 10.000 österreichische Juden wurden ins KZ Auschwitz deportiert. Auch unter den TäterInnen waren zahlreiche ÖsterreicherInnen. Doch bei den österreichischen Auschwitzprozessen in den 1970er Jahren gab es keine Schuldsprüche.

Auschwitz als Symbol des Verbrechens

Jüngste Forschungen geben die Opferzahlen des Holocaust für dieses Konzentrationslager mit mindestens 1,35 Millionen Jüdinnen und Juden und zigtausenden Roma und Sinti, sowjetischen Kriegsgefangenen und aus politischen sowie anderen Gründen Verfolgten an. In Österreich hat Auschwitz als Gedächtnisort nie die Bedeutung erlangt, wie in Deutschland, wo der Frankfurter Auschwitzprozess (1963 bis 1965) als historischer Wendepunkt gilt.

Das Vorgehen der heimischen Justiz bei der Ahndung der Gräueltaten sei äußerst zögerlich und von Desinteresse geprägt gewesen, sagt die Historikerin Sabine Loitfellner, die an einer Dissertation zu den österreichischen Auschwitzprozessen arbeitet.

Zustandekommen der Auschwitzprozesse

Von den ersten Vorerhebungen bis zum Beginn der Prozesse vergingen fast zwölf Jahre. Dies ist umso erstaunlicher, als die deutschen Ermittlungsbehörden ihre Erkenntnisse und Beweismaterialien aus dem Auschwitz-Prozess zur Verfügung stellten und auch die Zeugen bereits bekannt waren.

Am Zustandekommen der beiden Auschwitzverfahren in Österreich in den 1970er Jahren waren die Auschwitz-Überlebenden Hermann Langbein und Simon Wiesenthal maßgeblich beteiligt. Sie sammelten während des Prozesses in Frankfurt alle Hinweise auf österreichische Täter und Zeugen.

Die Architekten des Todes

1961 erstattet Hermann Langbein Anzeige gegen die Waffen-SS-Männer Walter Dejaco und Fritz Karl Ertl. Dejaco und Ertl waren ab 1940 im Planungsbüro der Abteilung Hochbau in Auschwitz für Bau und Instandhaltung von Krematorien, Gaskammern und aller anderen Bauten im Lagerbereich zuständig.

Zum Prozess kommt es erst ab Jänner 1972. Das Dokumentenmaterial belastet vor allem Dejaco schwer - die Baupläne der Krematorien tragen seine Unterschrift. Er streitet jedoch ab, dass die Anlagen zum Umbringen von Menschen dienten. Der Zeugenbeweis platzt, weil viele Zeugen schon sehr alt sind oder sich nicht mehr an Details erinnern können.

Fritz Karl Ertl und Walter Dejaco werden freigesprochen.

Zwei brutale Schlägertypen

Im zweiten Auschwitzprozess bis Juni 1972 sind die beiden SS-Männer Otto Graf und Franz Wunsch angeklagt. Graf und Wunsch waren Angehörige der Lager-SS und wurden wegen Mordes angeklagt.

"Sie waren brutale Schlägertypen“, so Sabine Loitfellner. "Graf war zudem für die Verwaltung von Zyklon B verantwortlich und hatte den Beinamen Gaskassier.“ Beide hatten laut Anklage zudem von Herbst 1942 bis November 1944 mindestens einmal wöchentlich Dienst an der Rampe, wo die Selektionen durchgeführt wurden.

Otto Graf und Franz Wunsch werden ebenfalls freigesprochen.

Zum Schlussstrich bekennen

Ausgang und Verlauf der Prozesse müssten im gesellschaftlichen Kontext betrachtet werden, so die Historikerinnen Sabine Loitfellner und Maria Wirth (sie arbeitet an einer Broda-Biografie). 1970 hatte die FPÖ unter dem ehemaligen SS-Mann Friedrich Peter Bruno Kreisky die Bildung einer SPÖ-Minderheitsregierung ermöglicht, 1971 erreichte die SPÖ bei neuerlichen Nationalratswahlen die absolute Stimmen- und Mandatsmehrheit. In Regierung und Justiz fanden sich ehemalige Nationalsozialisten.

Der sozialistische Justizminister Christian Broda entgegnete 1965 auf Vorwürfe in der Zeitschrift Forum, wonach fünf hohe österreichische Justizbeamte aufgrund ihrer Tätigkeit in politischen Prozessen der NS-Zeit schwer belastet seien, mit der Feststellung: "Man muss sich zu dem Schlussstrich bekennen, den die Republik Österreich unter eine unselige Vergangenheit gezogen hat, soweit es sich nicht um Straftaten handelt, die nach den österreichischen Gesetzen als unverjährbar gelten."

Hör-Tipp
Journal-Panorama, Montag, 27. November 2006, 18:25 Uhr

Download-Tipp
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Buch-Tipp
Thomas Albrich, Winfried Garscha und Martin Polaschek (Hrsg.), “Holocaust und Kriegsverbrechen vor Gericht - der Fall Österreich“, Studien Verlag, ISBN 3706542587

Veranstaltungs-Tipp
Vortrag und Diskussion der Zentrale der österreichischen Forschungsstelle Nachrkeigsjustiz, "KZ-Prozesse, Alliierte Verfahren wegen Verbrechen in nationalsozialistischen Konzentrationslagern", Dokumentationsarchiv, Altes Rathaus, Wipplingerstr. 6-8, 1010 Wien, Montag, 27. November 2006, Beginn: 18:30 Uhr

Links
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Forschungsstelle Nachkriegsjustiz
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