Artikel von "Spiegel"-Redakteuren
Der neue Kalte Krieg
Erich Follath und Alexander Jung haben Reportagen ihrer Spiegel-Kollegen redigiert und daraus ein spannendes Buch geformt, ein Buch, das den Kampf um die Rohstoffe zum Inhalt hat. Ganz "Spiegel"-like lautet der alarmistische Titel "Der neue Kalte Krieg".
8. April 2017, 21:58
Als Daniel Meadows 1972 seinen Bericht über die Grenzen des Wachstums dem "Club of Rome" vorlegte, herrschte allerorts Betroffenheit. Die Knappheit an Rohstoffen und Nahrungsmitteln werde die Weltkonjunktur lähmen. Und eine Wirtschaft, die stets auf Wachstum getrimmt sei, müsse infolge der Erschöpfung der Rohstoffvorräte zwangsläufig zusammenbrechen.
Daniel Meadows Buch traf den Zeitgeist. Es wurde in 29 Sprachen übersetzt und verkaufte sich mehr als zehn Millionen Mal. Seit mehr als 30 Jahren gehört es nun zum guten Ton, das Ende der Rohstoffe vorherzusagen. Allein, die Apokalypse wurde noch jedes Mal verschoben.
Änderung des Verbrauchs
Alexander Jung nennt in seinem Beitrag "Wie lange noch?" mehrere Gründe, warum der Weltvorrat an Rohstoffen nicht in dem Maße sinkt, wie man es noch vor Jahren befürchtet hatte: Steigen zum Beispiel die Preise für Gold, lohnt sich mit einem Mal auch der Abbau von Lagerstätten mit geringeren Gehalten oder größerem Förderaufwand. Dazu kommen neue Technologien, wie die mehrdimensionale Seismik, mit deren Hilfe selbst kleine Öltaschen oder Erzadern aufgespürt werden können.
Drittens ändert sich der Verbrauch. So ist der Kupferbedarf in der Übertragungstechnik erheblich gesunken, seit die Industrie statt Kupfer Glasfaser einsetzt. All das macht eine seriöse Beantwortung der Frage, wie lange der Rohstoffvorrat auf Erden noch reicht, nahezu unmöglich. Was man aber sagen kann ist, dass die Rohstoffe in den letzten Jahren einen ungeheuren Boom erlebten. Allen voran das Öl.
Verschiebung der Machtverhältnisse
"Es ist nicht mehr als ein halbes Jahrzehnt her", sagt der US-Ölexperte Daniel Yergin, "da galt die Ölindustrie als die älteste der Old Economy. Sämtliche Regierungen waren bestrebt, die staatlichen Ölfirmen zu privatisieren, und versuchten verzweifelt, Kapital anzulocken. Heute haben sich die Dinge umgekehrt."
Das führte zu einer Verschiebung der Machtverhältnisse. So wird Teheran - trotz der antisemitischen Ausfälle des Präsidenten Ahmadinedschad und trotz seines umstrittenen Atomprogramms sowohl von China als auch von Indien heftig umworben, denn niemand kann es sich heute mehr leisten, reiche Rohstoffländer zu verärgern. Das mussten auch die Vereinigten Staaten von Amerika erkennen.
USA von Venezuela abhängig
Venezuelas Präsident Hugo Chavez ist wohl einer der schärfsten Kritiker der USA. Mal lobt er Fidel Castro als "Bastion der Gerechtigkeit" und verbrüdert sich mit Bolivien und Kuba zu einer "Achse des Guten", mal nennt er George Bush "den größten Terroristen auf Erden". Die Amerikaner müssen die Verhöhnungen nolens volens über sich ergehen lassen, sind sie doch von ihrem Gegenspieler an der südlichen Flanke abhängig. Nur Kanada, Mexiko und Saudi-Arabien liefern mehr Öl in die Staaten als Venezuela. Die Tankstellen Kette "Citgo" mit ihren 14.000 Niederlassungen in den Staaten ist zu 100 Prozent in venezolanischem Staatsbesitz.
Ganz nebenbei gibt Venezuelas Präsident auch noch den Wohltäter in den Slums der USA. In den Armenviertel von Boston und in der New Yorker Bronx hat er in der bitterkalten Weihnachtszeit 2005 Heizöl aus eigenen Beständen nahezu zum halben Preis verkaufen lassen.
Reportagen aus dem "Spiegel"
Mehr als 20 "Spiegel"-Redakteure haben für diesen Sammelband Reportagen verfasst. Die neuen Konfliktherde, die rund um den Kampf um die Rohstoffe entstehen, werden ebenso beleuchtet, wie die neue Macht der Minenriesen. Die absurden Spekulationen der Rohstoffbörsen werden ebenso abgehandelt wie die sinkende Bedeutung des Diamantensyndikates De Beers. Von Australien bis Alaska, von Caracas bis Kapstadt und Katar sind die Journalisten gereist.
Die Artikel aus diesem Buch sind größtenteils schon im "Spiegel" erschienen und das ist wohl mit ein Grund, warum die Texte ein wenig zusammengewürfelt anmuten. Es scheint, als hätte man alles, was irgendwie in den letzten Jahren zum Thema Rohstoffe erschienen ist, in diesen Band gepackt. Auch stilistisch merkt man den Beiträgen ihre Herkunft an: Sie sind alle in der typischen "Spiegel"-Schreibe verfasst und haben alle den gleichen Aufbau. Trotz dieser Mängel aber ist "Der neue Kalte Krieg" ein lesenwertes Buch, weil es eindrucksvoll zeigt, dass die zukünftigen Konflikte wohl Kämpfe um den Zugang zu Ressourcen und um deren Verteilung sein werden.
Hör-Tipp
Kontext, jeden Freitag, 9:05 Uhr
Download-Tipp
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Buch-Tipp
Erich Follath, Alexander Jung (Hg.), "Der neue Kalte Krieg. Kampf um die Rohstoffe", DVA 2006, ISBN 3421042551