Waldexperte Thomas Henningsen im Gespräch

Urwaldsterben im Amazonasgebiet

"In Amazonien geschieht gerade eines der größten Umweltverbrechen unserer Zeit", sagt Waldexperte Thomas Henningsen von Greenpeace International. Der größte Regenwald der Erde wird immer mehr zur Anbaufläche für Europas Tierfutter.

Wer profitiert vom Urwaldsterben?

Der Urwald brennt. Tausende Menschen werden vertrieben, um Soja-Monokulturen anzulegen. Und wofür? Für Steaks und Chicken McNuggets in Europas Supermärkten. Der Amazonas-Urwald dürfe aber nicht zum billigen Agrarland für einige Großunternehmer werden, sagt Waldexperte Thomas Henningsen. Mit ihm sprach Michael Kerbler.

Michael Kerbler: Über das Verschwinden der letzten großen Urwälder ist in letzter Zeit sehr wenig in den Medien zu finden. Worauf führen Sie das zurück?
Thomas Henningsen: Sie haben Recht. Das Urwaldsterben ist leider eine viel zu wenig beachtete Umweltkatastrophe. Von den insgesamt sieben großen Regionen auf der Welt, darunter die drei großen Wälder im Amazonasgebiet, im Kongobecken und in Südostasien, haben wir im Moment bereits 80 Prozent der Urwälder dieser Erde verloren; nur noch 20 Prozent sind vorhanden. Und der Takt, in dem diese Urwälder zerstört werden, ist erschreckend. Alle zwei Sekunden verlieren wir ein Fußballfeld Urwald. Warum das so wenig beachtet wird? Vielleicht weil man sich daran gewöhnt hat oder weil das Problem so weit weg liegt.

Was macht diese Urwälder so bedeutend, abgesehen vom Klimapuffer?
Es ist der Lebensraum, der wohl noch als Schatzkammer der Artenvielfalt zu bezeichnen ist. In Amazonien beispielsweise haben wir auf einigen Hektar Wald mehr Baumarten als in ganz Europa zusammen; wir haben im Fluss des Amazonas mehr Fischarten als im ganzen Atlantik, und wir haben etwa auf einigen Bäumen einige hundert Ameisenarten, die dort leben: ein fantastischer Lebensraum, der über Jahrtausende gewachsen ist und die Vielfalt des Lebens symbolisiert. Schlussendlich haben wir auch Menschen, die seit Jahrtausenden dort leben und sich diesen Lebensraum ausgesucht haben.

Was sind nun die Ursachen und Folgen dieses gigantischen Urwaldsterbens? In Brasilien war ja immer die Rede davon, dass die Armut ein ganz wesentlicher Faktor ist: Viele landlose Menschen haben sich dort durch Brandrodung ein Stück Land, von dem sie leben konnten, genommen. Wie gefährlich ist Armut für die weitere Existenz des Regenwaldes?
Das ist ein Problem, dass sich gegenseitig bedingt. Mit der Zerstörung des Lebensraums wird die Armut immer größer. Die Leute haben ja nur diesen einen Wald, von dem sie leben. Wenn er zerstört wird, weil er langfristig eben nicht als Agrarfläche geeignet ist, wird die Verarmung immer größer. Eigentlich haben die Besiedlung und dann die Zerstörung des Regenwaldes die Armut viel größer gemacht, als jene Grundidee, Menschen einen Lebensraum zu geben, den sie vorher nicht hatten.

Die meisten Waldauslöscher oder Waldvernichter sind allerdings die großindustriellen Bauern und Agrarfarmer, die jetzt auch vermehrt Soja anbauen. Wieso ist Soja plötzlich am Weltmarkt so wichtig, dass etwa die brasilianische Regierung alles dazu tut, um die Anbauflächen zu Lasten des Regenwaldes zu vergrößern?
Soja ist zum Liebling der landwirtschaftlichen Nutzung aufgestiegen, weil sie eine sehr proteinreiche Bohne ist, die optimal für Tierfutter eingesetzt werden kann. In Brasilien gibt es dafür die besten Bedingungen. Und das ist ein Schock für diese ganze Region: Denn die Soja-Flächen müssen gigantisch groß sein. Man muss sich vorstellen: Tausende von Hektar Wald ergeben ein einziges Feld. Außerdem ist der Sojaanbau eine gute Einnahmequelle. Hinzu kommt noch, dass Soja auch billiger produziert werden kann.

De Sucht nach billigen Lebensmitteln hat dazu geführt, dass die Tiermastbetriebe billige Futtermittel suchen; und die finden sie in den Dritte-Welt-Ländern. Sie können z. B. mit der Zunahme von Soja die Milchproduktion steuern, Sie können bestimmen, wie viel eine Kuh Milch gibt. Soja ist im Grunde genommen ein fantastisches Futtermittel, aber - wie so vieles in der Entwicklung - ist die Produktion außer Kontrolle geraten.

Übersicht

  • Klimawandel