Können, Vermögen, Kraft
Göttin Shakti
In den hinduistischen Traditionen wird die Partnerin eines Gottes als seine Shakti bezeichnet. Shakti bedeutet Können, Vermögen, Kraft. Shakti ist auch ein wichtiger, aber keinesfalls unumstrittener Begriff in der indischen Frauenbewegung.
8. April 2017, 21:58
Preislied für die Göttin Durga
Ich beuge mich vor Dir,
oh Göttin Durga, der Glückbringenden
Ich beuge mich vor Dir,
oh Göttin Amba, die alles Leiden beendet.
Der Glanz Deines Lichtes ist grenzenlos
und alldurchdringend,
und die drei Welten - Erde, Himmel und Unterwelt -
werden von Dir erleuchtet.
Durga, der dieses Lied gewidmet ist, gehört zu den mächtigsten und zugleich beliebtesten Göttinnen des Hindu-Pantheons. Wie andere Gottheiten hat auch Durga zahllose Beinamen. Wichtige Texte, die Durga preisen, erklären, sie sei mit Shakti identisch, der elementaren, schöpferischen Kraft des Göttlichen.
Können, Vermögen, Kraft
Der aus der altindischen Sprache Sanskrit stammende Begriff Shakti bedeutet Können, Vermögen, Kraft. In den hinduistischen Traditionen wird die Partnerin eines Gottes als seine Shakti bezeichnet.
Der männliche Gott ist das passive, statische, ruhende und kontemplative Prinzip, während seine Partnerin, die Shakti, für das Dynamische, Aktive und Schöpferische steht. Beide ergänzen einander und sind Aspekte des göttlich gesehenen Absoluten.
Vielfalt von Göttinnen
Für Außenstehende verwirrend ist freilich die große Vielfalt von Göttinnen, in denen sich diese Shakti personifiziert: Da gibt es Lakshmi, Parvati und Saraswati, die Gefährtinnen der drei großen Götter Vishnu, Shiva und Brahma, dann Kali und Durga, Uma, Gauri und viele andere größere und kleinere Göttinnen bis hin zu den für einzelne Dörfer spezifischen weiblichen Gottheiten.
Bei den einen überwiegen mehr die mütterlichen und beschützenden, bei anderen die aggressiven und bedrohlichen Aspekte. Um viele Göttinnen ranken sich vielfältige und auch widersprüchliche Mythologien.
Viele Gottheiten oder eine Göttin?
All diese Göttinnen und ihre Mythologien kann man religionsgeschichtlich von zwei Seiten betrachten: Man kann sie alle als Erscheinungsformen einer Shakti verstehen. Oder man kann sie als viele weibliche Gottheiten betrachten, die über die theologische Konzeption der Shakti in eine vereint wurden. Für den Gläubigen spielt das natürlich keine Rolle.
Indische Frauenpower
Die Mitte der 1970er Jahre entstandene neue indische Frauenbewegung bezog sich stark auf das Prinzip Shakti und sprach von Stri Shakti - Frauenpower.
Doch es sollte sich bald zeigen, dass der Begriff keinesfalls unbedenklich war. Im Zuge des aufkommenden Hindunationalismus in den später 1980er und in den 1990er Jahren wiesen viele Frauen den Begriff von sich: Sie wollten sich nicht auf ein Konzept beziehen, das so eindeutig einer Religion - eben dem Hinduismus - zuzuschreiben ist, da dies den Ausschluss von Frauen aus anderen Religionen bedeuten würde.
In ländlichen Regionen präsent
Die Forscherin Vathsala Aithal hat bei ihren eigenen Forschungen allerdings festgestellt, dass der Begriff Shakti in ländlichen Regionen explizit oder implizit sehr präsent ist, und zwar auch in gemischten Gruppen, wo Hindufrauen und Musliminnen oder Adivasis und Dalitfrauen zusammen sind. Ihrer Einschätzung nach sind es vor allem die Aktivistinnen, die das Wort Shakti ablehnen.
Selbst radikale und linke säkulare Bewegungen sehen inzwischen allerdings die strategische Notwendigkeit, der Rechten die alleinige Dominanz über die Religion zu entreißen, meint die an der New York University lehrende Wissenschafterin Rajeswari Sunder Rajan. Es gelte, die Räume innerhalb einer pluralistischen und lebendigen Tradition des Hinduismus für progressive Zwecke zu nutzen.
Hör-Tipp
Radiokolleg, Montag, 2. Oktober 2006, bis Donnerstag, 5. Oktober 2006, 9:45 Uhr
Buch-Tipps
C. J. Fuller, "The Camphor Flame", Princeton University Press, Princeton, ISBN 0691074046
Rajeswari Sunder Rajan, "Is the Hindu Goddess a Feminist?", In: Maitrayee Chaudhuri, ed. Feminism in India, Kali for Women/Women Unlimited, ISBN 8186706763
David Kinsley, "Die indischen Göttinnen", Insel Verlag, ISBN 3458343164