Alltagsbeobachtungen aus Colorado
Amerikanisches Tagebuch
Ö1 Mitarbeiter Haimo Godler machte Urlaub und konnte es nicht lassen. Eine Dienstreise hatte ihn in die USA gebracht. Dann schloss er noch ein paar Tage privat an und revanchierte sich beim Arbeitgeber mit Reiseberichten. Zum Abschluss: Ein Homerun.
8. April 2017, 21:58
Nein, ich werde jetzt die Regeln des Baseball-Spiels hier nicht im Detail erklären. Nur soviel: Die verteidigende Mannschaft bringt den Ball durch ihren Werfer ins Spiel, die angreifende Mannschaft versucht den Ball ins Feld zu schlagen und dann die einzelnen Male (Bases) abzulaufen. Gelingt es einem Läufer, eine Runde um alle Bases zurück zur Homeplate zu laufen, erhält seine Mannschaft einen Punkt. Die Mannschaft, die nach neun Spielabschnitten (Innings) mehr Punkte (Runs) hat, gewinnt.
Baseball ist neben (American) Football der Nationalsport Nummer eins in den USA. Und Baseball ist - wie die anderen großen Profisportarten Football, Basketball und (Eis-)Hockey in erster Linie ein Familienereignis. Bei den Spielen der höchsten Baseball-Spielklasse, der Major League, gibt es keine Hooligans, keine Betrunkenen, kein sinnloses Gegröle und überhaupt sind alle Aktivitäten verboten und mit Rausschmiss aus dem Stadion bedroht, die den lieben Frieden in irgendeiner Weise stören könnten. Selbst Rauchen in offenen Stadien ist fast überall verboten.
Das, meint Jay Alves, Vice-President für Public Relations der Colorado Rockies, Denvers Vertreter in der Major League, ist ausschlaggebend für den Umstand, dass Familien - vom Kleinkind bis zur Oma - gemeinsam zu den Spielen der Rockies kommen. Ein Spiel wie jenes am Samstag gegen die Atlanta Braves war interessant und spannend bis zum Schluss, die Rockies siegten knapp 10:9.
Baseball ist für Europäer manchmal verwirrend, aber glauben Sie mir, wenn man die Grundregeln verstanden hat, dann sieht man, dass es ein Spiel ist, in dem die individuellen Fähigkeiten der Einzelspieler ebenso gefragt sind wie das Zusammenspiel der gesamten Mannschaft. Und außerdem gehört eine enorme taktische Komponente dazu, um ein Spiel gewinnen zu können.
In Österreich wird natürlich auch Baseball gespielt; am vergangenen Wochenende wurden die Finalteilnehmer der österreichischen Meisterschaft ermittelt. Bei diesen Spielen setzen sich die Vienna Metrostars gegen die Vienna Wanderers durch, das zweite Halbfinale gewannen die Kufstein Vikings gegen die Dornbirn Indians. Die Finalspiele zwischen den Metrostars und den Vikings beginnen am kommenden Wochenende.
Vom Fernsehen in der Ferne
Vom amerikanischen Fernsehen kann man viel lernen. Das ist kein Witz, schließlich verblüfft mich jeden Tag, wie man über fünfzig Kanäle mit Inhalt (mit Inhalt?) füllen kann. Diese Anzahl kann man hier in jedem Motel/Hotel empfangen. Und man braucht nicht viel Lebenszeit aufwenden, um genau jenen Mist zu finden, der bei uns mit amerikanischem Fernsehen gemeinhin verbunden wird. Man findet aber auch, das muss der Fairness halber gesagt werden, interessante Dinge. Letztens gab es ein einstündiges Interview im öffentlich-rechtlichen Kanal mit Italiens Ministerpräsidenten Romano Prodi über die Rolle Europas und im speziellen seines Landes zur Lage im Nahen Osten - hoch interessant, gut gemacht. Auf einem lokalen Kanal können sich derzeit die Kandidaten und Kandidatinnen für öffentliche Ämter vorstellen - auch hier ist derzeit Wahlkampf.
Die großen Nachrichten-Networks wie CNN und Fox News berichten rund um die Uhr über alles, was ihnen berichtenswert erscheint, und das ist - gerade für diese beiden Sender manchmal höchst unterschiedlich. CNN scheint halbwegs unparteiisch und ausgewogen zu Werke zu gehen - manchmal mit leichten Sympathien für das Lager der Demokraten. Keinen Genierer kennen da die Kollegen von Fox News. Da werden die Republikaner und die Administration von Präsident George W. Bush in einer derart unverhüllten Weise unterstützt, dass man aus dem Staunen kaum herauskommt. Aber es gilt natürlich der Grundsatz free speech - man hat ja die Wahl und muss dort nicht zuschauen.
Ein Genuss sind die Sportübertragungen - wenn einen Sport interessiert. Mich interessiert es, und derzeit ist ja Hochsaison im amerikanischen Profisport. Die Football-Saison hat gerade begonnen und die Baseball-Meisterschaft kommt in die entscheidende Phase. Alle Übertragungen werden grundsätzlich von zwei oder mehr fachkundigen und witzigen Kommentatoren betreut - auch hier wie bei uns leider wenige Frauen. Es gibt technische Spielereien und Superzeitlupen, um wirklich alles genau nachvollziehen zu können. Und natürlich gibt es dann die Talkshows, in denen alles noch einmal erörtert wird. Besonders lustig ist dabei die morning show des Senders ESPN mit dem passenden Namen "cold pizza" - in Anspielung auf die Reste des Abendessens, das am Tag davor bei den Sportübertragungen eingenommen wurde. Da wird geblödelt und polemisiert, mit Zuspielungen von den entscheidenden Szenen der Übertragungen. Alles ohne Verkrampfung und ohne Pathos. Amerikanisches Fernsehen eben.
Think locally, act locally
Die Amerikaner haben ein durchaus zwiespältiges Verhältnis zu ihrer öffentlichen Verwaltung. Alles, was sie selber auf lokaler Ebene betrifft, wird mit Sorgfalt und hohem persönlichen Einsatz mitgetragen, aber wenn es um überregionale oder gar Bundesangelegenheiten geht, dann sinkt die Begeisterung mit dem Quadrat der Entfernung der Entscheidungsträger vom eigenen Wohnort. Es ist deshalb kein Wunder, dass man die (Bundes-)Einkommenssteuer und die sie eintreibende Bundesbehörde IRS gelegentlich als natürlichen Feind des eigenen wirtschaftlichen Fortkommens sieht, aber die Aggressivität, mit der das manchmal kundgetan wird, überrascht schon.
Wirklich wohltuend ist dagegen die Einstellung zu lokalen Einrichtungen wie die öffentlichen Büchereien, die es in jeder Gemeinde gibt. Dort stehen nicht nur meist beeindruckend große Sammlungen von Büchern und Zeitschriften, es finden sich dort auch etliche Computer mit Internet-Anschluss, die für jeden/jede kostenlos benutzbar sind. In diesen "Public Libraries" schreibe ich meist meine Reiseberichte. Geführt und betreut werden diese Büchereien meist von so genannten "Volunteers", also Bürgern aller Altersklassen, die diese Arbeit in ihrer Freizeit und unbezahlt im Dienste der Allgemeinheit verrichten. Freiwillige und unbezahlte Arbeit zugunsten des örtlichen Gemeinwesens - ein Vorbild für uns in Österreich?
Wiedersehen mit alten Bekannten
Telluride - das festzuhalten gebietet die Chronistenpflicht - wurde am 24. Juni 1889 das erste Mal eine gewisse Aufmerksamkeit zuteil. An diesem Tag überfiel Robert Leroy Parker, in einschlägigen Fachkreisen besser als Butch Cassidy (und als krimineller Partner des ebenso veranlagten Sundance Kid) bekannt, die örtliche San Miguel Valley Bank. Dass es danach fast hundert Jahre wieder ruhiger um die beschauliche Gebirgsstadt wurde, hat mit dem sinkenden Erfolg der Goldsucher in der Gegend zu tun. Dann aber nahm die Stadt einen kaum mehr vermuteten Aufschwung, als Ende der 1970er Jahre ein respektables Skigebiet entstand. Geburtshelfer war dabei ein gewisser Franz Klammer, dessen Name hier immer noch allseits bekannt ist, vermutlich auch, weil ein Nobelhotel nach ihm benannt wurde. Kosten pro Übernachtung in der Nebensaison: ab EUR 210.
Telluride kann man ohne Übertreibung als das "Saalbach der Rocky Mountains" bezeichnen. Hochqualitative Gastronomie und hervorragende Einkaufsmöglichkeiten - wenn auch bei geschmalzenen Preisen - locken das ganze Jahr über Touristen an. Der Hauptort ist durch eine Gondelbahn mit einem Hotel- und Veranstaltungszentrum auf der anderen Seite des Berges verbunden, wobei diese Gondelbahn als kostenloses Transportmittel von 7:00 Uhr früh bis Mitternacht in Betrieb ist. Steigt man in der Mittelstation aus, so steht man in fast 3.000 Metern Höhe auf einer Alm mit grandiosem Panoramablick.
Auf dem öffentlichen Parkplatz des Ortes schließlich eine Überraschung: Hier stehen, knallrot lackiert, zwei Pinzgauer, hergestellt in den 1970er Jahren von Steyr Daimler Puch. Wer will, kann diese geländegängigen Alleskönner mieten und damit Touren durch die herbstliche Landschaft unternehmen.
Besuch in "Twin Peaks"
Ouray ist eine Kleinstadt mitten in den Rocky Mountains. Anfang der 1990er Jahre wurden hier Teile der legendären TV-Serie "Twin Peaks" gedreht. Regie führte David Lynch, in der Rolle als FBI-Agent Dale B. Cooper war Kyle MacLachlan zu sehen. An die goldene Zeit des Städtchens erinnert heute noch das "Twin Peaks"-Motel, von dem aus man einen fantastischen Blick auf die Felsen hat, die der Serie den Namen gegeben haben. Das Motel lässt sich seinen Standort-Vorteil mit geschmalzenen Übernachtungspreisen abgelten. Aber man tut Ouray unrecht, wenn man die Gemeinde auf ihre Fernseh-Vergangenheit reduziert.
Die Main-Street ist gesäumt von wunderschönen alten Häusern aus der Goldgräber-Zeit, nahe der Stadt gibt es ein öffentliches Bad, in dem man bei Wassertemperaturen von bis zu 104 Grad Fahrenheit (bitte umrechnen!) herrlich plantschen kann - zum Schwimmen ist das Wasser zu warm. Ouray nennt sich selbst "Switzerland of America". Wahrscheinlich weil es hier ein "Matterhorn Motel" gibt. Selbstbewusstsein konnte man den Amerikanern ja noch nie absprechen. In der Nacht erstmals in dieser Saison Temperaturen unter dem Gefrierpunkt. Heute in der Früh dennoch Kaiserwetter und ein Panorama - Ouray liegt in einem Talkessel - das einem den Atem raubt.
Zwischenapplaus im Konzert
Die Boettcher Concert Hall im Denver Performing Arts Center erweist sich als Arena-artige Konstruktion, bei der das Orchester in der Mitte, am tiefsten Punkt der Halle sitzt. Die Besucher sitzen rundherum, also ähnlich wie in der Berliner Philharmonie auch hinter dem Orchester. Das Publikum ist gemischt, Damen in großer Abendrobe und Herren im Smoking sitzen neben Musikinteressierten in Alltagskluft, ohne dass dies wechselseitig mit sichtbarem Missbehagen wahrgenommen wird.
Das Konzert beginnt, man ist schließlich in den USA, mit einer kurzen Ansprache des Orchesterintendanten, in der er Sponsoren, Gönnern und dem Publikum für die Unterstützung dankt. Auf dem Programm: "Refracted Skies" von Daniel Kellogg, Uraufführung einer Auftragskomposition, Freundlicher Applaus des Publikums, dann Sergei Rachmaninows 2. Klavierkonzert mit Andre Watts als Solist. Die Begeisterung des Publikums entlädt sich ein einem Zwischenapplaus nach dem ersten Satz - nun ja. Pause. Viel Routine bei Ravels Suite Nr. 2 aus "Daphnis und Chloe" und Emanuel Chabriers "Espana" schließt den Abend ab. Freundliche Zustimmung für einen passablen Konzertabend, aber kein überschwänglicher Jubel. Zugabe wird keine gefordert, also auch keine gespielt.
Das Ende der Geschichte
Sehr beeindruckend. Im Keller gibt es eine offizielle Geschichte Colorados, die laut Museum im Jahr 1800 beginnt und 1949 endet. Wie es scheint, ist dieses Projekt der Geschichtsschreibung noch unvollendet. In den beschriebenen 150 Jahren geht es - wenig überraschend - um die Geschichte der Landnahme, des technologischen und wirtschaftlichen Aufschwunges. In dieser quasi offiziellen Darstellung haben die indigenen Völker, die früher hier lebten und von denen es einige versprengte Reste noch gibt, keinen Platz. Doch halt: Eine Sonderausstellung, die mit viel Liebe und Aufwand gemacht wurde, widmet sich just diesen kulturellen "Origins". Des kulturellen Erbes ist man sich also doch bewusst, Teil der offiziellen Geschichten ist das aber nicht. Ein schöner Kompromiss zwischen political correctness und dem biblisch untermauerten Auftrag: "Macht euch die Erde untertan".
Endlich wieder Autofahren in den USA
Erste positive Überraschung am Flughafen in Denver: Das von mir reservierte Fahrzeug ist nicht da, man bietet mir generös ein kostenloses Upgrade an. Wird dankbar angenommen, und so übernehme ich einen fast neuen Chevy Impala, ein Auto das sich in Europa kein Mensch kaufen würde. Es ist groß, bequem, ziemlich schwerfällig und hat alle Extras, die es zum Cruisen über amerikanische Highways braucht: Tempomat, Klimaanlage, jede Menge Ablagen zum sicheren Verwahren der unvermeidlichen Getränkebecher und natürlich Automatikgetriebe.
Kaum auf der Strasse genieße ich die amerikanische Autofahr-Kultur: Man nimmt Rücksicht aufeinander, die Tempolimits werden eingehalten, es gibt keine Drängler auf den Highways. Reiht man sich falsch ein, so lassen einen die anderen Fahrerinnen und Fahrer gerne wieder die Spur wechseln. Es gibt kein Gestikulieren und kein Vogel-Zeigen - mit einem Wort: Es ist viel weniger Testosteron auf den Strassen.
Links
Wikipedia - Butch Cassidy
Fairmont - Franz Klammer Lodge
University of Colorado - Daniel Kellogg
Chevrolet - Impala
Internal Revenue Service
Telluride
Twin Peaks
Ouray
Fahrenheit to Celsius Converter
Colorado Symphony Orchestra
Colorado Historical Society