Ein Gespräch mit Erwin Chargaff
Die Seele lässt sich nicht klonen
"Ich sollte ein Monument in Wien bekommen", meinte der Biochemiker Erwin Chargaff. "Ich bin der geborene Nörgler. Wenn Wien die Stadt des Nörgelns ist, sollte man mir hier eine Statue errichten. In einem Beserlpark, irgendwo ..."
8. April 2017, 21:58
Erwin Chargaff im Gespräch mit Doris Stoisser
"Was machbar ist, wird gemacht und muss auch angewendet werden." Der 1905 in Czernowitz geboren Biochemiker Erwin Chargaff erkannte die hohen Risiken wissenschaftlicher Forschung und wandelte sich zum scharfen Beobachter und Kritiker des Wissenschaftsbetriebs. Fast ein ganzes Jahrhundert Lebenszeit war ihm bestimmt. Im Sommer des Jahres 1997, fünf Jahre vor seinem Tod, führte Doris Stoisser ein Gespräch mit Erwin Chargaff.
Doris Stoisser: Es ist im Europarat die Konvention über Bioethik und Biomedizin unterzeichnet worden, gegen massive Einwände vieler Parlamentarier. Es gibt viele Bedenken, etwa was den Embryonenschutz betrifft und den Datenschutz. Das Klonen von Menschen ist nur indirekt verboten. Die einzelnen Staaten dürfen strengere Standards haben. Worauf sollte ein Staat wie Österreich besonders achten?
Erwin Chargaff: Man sollte als erstes einmal die Bioethik abschaffen. Das gibt es nicht. Ethik ist ein Bestandteil der Philosophie. Viele große Philosophen haben sich damit befasst. Das Alte und das Neue Testament enthalten unzählige ethische Vorschriften. Und das ist genug.
Die Bioethik, wie sie jetzt ausgeübt wird, hat eine reine Alibifunktion. Nämlich die Forscher abzuschirmen von Angriffen der Gläubigen, der anders Gesinnten usw., und ich glaube, eine Abschaffung des Begriffs Bioethik ist durchaus am Platze. Wenn wir die Bioethik zulassen, können wir auch die Kleptoethik zulassen - das ist die der Taschendiebe -, die Pornoethik undsoweiter. Wenn es für jeden Beruf oder für jede Branche eine spezielle Ethik geben soll, dann können wir das überhaupt vergessen.
Andererseits: Jetzt ist es schon ein durch zahlreiche Bioethiker abgeschirmter Beruf. Ein Beruf kann nicht abgeschafft werden, man kann die Leute ja nicht unterbinden, die davon leben, dass sie den warnenden Zeigefinger erheben im rechten Moment. Ich möchte gern ein Beispiel sehen, wo die Bioethik etwas verhindert hat. Sie kann das nicht, denn sie steht ganz anderen Mächten gegenüber. Sie hat eine Alibifunktion.
Hör-Tipp
Im Gespräch, Donnerstag, 10. August 2006, 21:01 Uhr
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