Phänomen Mord

Menschen töten

Dorothee Frank ist selbst Medien-Arbeiterin. Und obwohl sie viele Jahre lang für dieses Buch und für die ihm vorangegangenen Radiofeatures recherchiert hat, ist sie zum Schluss gekommen, dass sich das Töten nicht vollständig erklären lässt.

Dorothee Frank zum Thema Todesstrafe

Es ist eine Illusion, zu denken, dass sich das Töten vollständig erklären ließe. Ähnlich wie beim Sprechen über die Liebe stößt man irgendwann an die Grenzen des Sagbaren.

Dorothee Frank lässt in ihrem Buch Betroffene reden. Zu diesem Zweck besuchte sie Menschen, die getötet haben, in den Besuchsräumen ihrer Gefängnisse. Sie sprach mit Hinterbliebenen und Trauernden. Sie interviewte einen Überlebenden der Massaker von Srebrenica ebenso, wie einen des Völkermords beschuldigten hohen Militär. Und sie kontaktierte Menschen, die in irgendeiner Form beruflich mit diesem schwierigen Thema zu tun haben: Psychologen, Menschenrechtsanwälte, Terrorismus-Spezialisten, Sozialarbeiter.

Aussichtlose Situation

"Ich habe nie gedacht, dass ich ins Gefängnis komme. Geschweige denn einen Menschen töte. Das war für mich überhaupt das Unbegreiflichste. Ich habe Jahre gebraucht, bis ich das überhaupt habe verarbeiten können. Wie schnell das nämlich geht - plötzlich hat man getötet."

Der Mann, der Dorothee Frank diesen Satz zu Protokoll gab, galt vor der Tat als unauffällig. Wie bei so vielen anderen, die wegen Tötungsdelikten verurteilt wurden, war eine konkrete, als aussichtslos erlebte biografische Situation ausschlaggebend für die Tat. So gut wie jeder Mensch wäre in der Lage, zur Verteidigung des eigenen Lebens zu töten. Affektmörder tun aus ihrer subjektiven Warte aber nichts anderes.

Mord ist relativ

Der Begriff "Mord" bildet zwei Bedeutungsfelder auf zwei verschiedenen Sprech-Ebenen. Einerseits gehört es zur Sprache der Justiz, ist Teil des institutionellen Regel- und Verbotswesens. Aber auch dieser scheinbar klare rechtliche Begriff ist veränderlich, schreibt Dorothee Frank. Wird in dem einen Land die Tötung der untreuen Ehefrau als notwendige Wiederherstellung der eigenen Ehre gesehen, ist es in dem anderen Land Mord. Und auch bei uns galten früher andere Regeln, was zum Beispiel die Tötung von Säuglingen oder die mordende Rache auf Grund bereits begangenen Unrechts betraf.

Das zweite Bedeutungsfeld des Wortes "Mord" ist informeller, umgangssprachlicher Natur. In der Alltagssprache enthält das Wort "Mord" eine wertende Zuweisung. Ist eine abtreibende Frau eine Mörderin? Ist der Papst ein Mörder, weil er AIDS-verhütende Kondome verbietet? Ist jeder Soldat ein Mörder?

Mörder sind die isoliertesten aller Außenseiter, aber Front-Soldaten begegnen uns täglich als Großväter, Nachbarn, Bekannte, Passanten.

Rache durch den Staat

Das Interessanteste an dem Buch sind, neben der schieren Fülle an recherchiertem Material, die Gegenüberstellungen verschiedener rhetorischer, philosphischer, ideologischer oder alltagspolitischer Diskurse zum Thema "Mord". Hintergrund für solche Gegenüberstellungen bilden sowohl das weite Feld von Bürgerkriegen und terroristischen Akten, also das scheinbar ideologisch begründete Morden, als auch die Frage der Todesstrafe, der mordenden Rache durch den Staat.

Jo Berry hatte 1984 ihren Vater, den konservativen englischen Abgeordneten Sir Anthony Berry, durch eine Bombe der IRA verloren.

Wenn ich jemandem erzählte "Mein Vater ist in die Luft gesprengt worden, dann fingen sie an, nun, nicht gerade von Fußballergebnissen, aber jedenfalls von etwas völlig Unwichtigem zu reden. Sie fragten "Kannst du nicht loslassen?". Da dachte ich, ich muss wohl auf die anderen Rücksicht nehmen. Jetzt weiß ich, dass ich einige der erschreckendsten Gefühle, die mit so einem Erlebnis verbunden sind, für viele Jahre verdrängt habe.

Die Wunde bleibt

In einem der wohl berührendsten Interviews in Dorothee Franks Buch schildert Jo Berry, wie sie nach tränenreichen Jahren dem Mörder ihres Vaters gegenübertrat, und nach einem Moment der beinahe unerklärlichen Euphorie in eine schwierige, aber dennoch bereichernde menschliche Beziehung mit ihm eintrat.

Ich muss so oder so damit leben. Es ist eine Wunde, aber diese Wunde sollte vielleicht gar nicht verschwinden, weil sie auch eine Gabe ist. Die Energie und Leidenschaft, etwas zu ändern, kommt von meiner Wunde, ganz bestimmt. Deshalb kann ich auch nie ausbrennen.

Mehr zum Thema "Menschen töten" in oe1.ORF.at
Kontext des Tötens
Töten per Gesetz

Hör-Tipp
Kontext, jeden Freitag, 9:05 Uhr

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Buch-Tipp
Dorothee Frank, "Menschen töten", Walter Verlag, ISBN 3530421979

Link
Der Standard - Interview mit Dorothee Frank