Bosniens traumatische Vergangenheit

Vergewaltigung und Krieg

Seit März ist "Grbavica", ein Film über die Vergewaltigungen bosnischer Frauen im Kino. Im Interview erläutert Regisseurin Jasmila Zbanic unter anderem, warum sie sich gegen einen dokumentarischen und für einen fiktionalen Zugang entschieden hat.

Interview mit Jasmila Zbanic

"Grbavica“, so lautete der Überraschungssieger des Goldenen Bären auf der diesjährigen Berlinale. Ein Preis, der vor allem als politisches Signal gedeutet wurde, handelt doch der Film von den Verbrechen, die während des Balkankriegs im Stadtviertel "Grbavica“ in Sarajewo begangen wurden. In ihrem Spielfilmdebüt erzählt die 1974 in Sarajewo geborene Regisseurin Jasmila Zbanic die fiktive Geschichte einer Mutter, deren halbwüchsige Tochter das Geheimnis ihrer Herkunft schmerzlich erfahren muss.

Jasmila Zbanic, die Kriegsverbrechen im Balkankrieg haben bis heute nichts an trauriger Aktualität verloren. Wann und wie haben Sie begonnen, sich als Grundlage für den Film "Grbavica" damit intensiv zu beschäftigen?
Für mich begann die Arbeit am Film "Grbavica“ eigentlich schon 1992, als ich von den Massenvergewaltigungen als Kriegsstrategie hörte. Ich war schockiert, denn das alles hat sich quasi in meiner Nachbarschaft zugetragen. Ich bin dann selbst Mutter geworden, und habe mich gefragt, wie es möglich ist, dass jemand sein Kind lieben kann, wenn es doch unter ganz hassenswerten Umständen gezeugt wurde. Ausgehend davon habe ich ein Drehbuch geschrieben, dazu ständig auch in Frauenhilfszentren recherchiert. Immer wieder habe ich Zweifel bekommen, ob mir die Geschichte nicht doch über den Kopf wächst. Ich konnte mir gar nicht vorstellen, was die vergewaltigten Frauen alles durchgemacht haben.

War das auch ein Grund, warum sie keinen Dokumentarfilm, sondern einen Spielfilm daraus gemacht haben?
Ja, ich wollte die betroffenen Frauen einfach vor der Kamera nicht nochmals unangenehmen Situationen aussetzen. Das wäre mir fast pornografisch vorgekommen, nachdem ihr Schicksal nicht zuletzt von Medien missbraucht worden war. Zudem gab eine fiktionale Annäherungsweise die Möglichkeit, sich besser in die Gefühlswelt dieser Frauen hineinzuversetzen. Ich wollte den Kontrast zwischen zwei Welten zeigen, einer inneren und einer äußeren Welt. Nach außen hin gibt es ja Frieden in Bosnien, doch im Innenleben vieler Menschen sind die Traumata des Kriegs noch sehr präsent.

Wie schätzen Sie die Bereitschaft der Menschen in Bosnien ein, sich überhaupt dieser traumatischen Kriegsvergangenheit zu stellen?
Das hängt davon ab, von welchem Teil in Bosnien man spricht. In Sarajewo haben die Menschen so eine Art Selbstverteidigungsmechanismus entwickelt, um ihr Alltagsleben zu bewältigen. Man denkt also nicht mehr jeden Tag an den Krieg, vieles erscheint im Alltag völlig normal. Die Bauten in Sarajewo sind ja großteils wieder instand gesetzt, die Leute haben Arbeit, treffen sich in Kaffeehäusern. Hinter dieser Fassade gibt es aber viele ungelöste Probleme, die in den Menschen weiterarbeiten wie Bomben, die nicht explodiert sind. Einige wesentliche Verantwortliche des Kriegs sind immer noch in Freiheit, sind also für ihre Taten noch nicht zur Rechenschaft gezogen worden. Das ist ein bedauerlich, weil dadurch den Menschen auch nicht vermittelt wird, dass Faschismus und Krieg etwas Schlechtes sind. Das ist für viele Opfer frustrierend. Auch auf serbischer Seite gibt es ein großes Bedürfnis zu vergessen. Ich wollte beispielsweise meinen Film beim Belgrader Filmfestival zeigen, doch weil ich mehrfach betont habe, dass Kriegsverbrecher zur Verantwortung gezogen werden müssen, ging eine mediale Protestlawine los. In Serbien identifizieren sich viele Menschen immer noch mit der Ideologie der Kriegstreiber. Das ist tatsächlich ein großes ungelöstes Problem, mit dem man sich beschäftigen muss.

Jetzt gibt es vor allem um den Kriegsverbrecher Mlatko Radic ganz aktuelle Entwicklungen, quasi, dass seine Festnahme unmittelbar bevor stehen würde. Wie schätzen sie diese Entwicklung ein?
Ich weiß auch nicht genau, was da vor sich geht. Es gibt verschiedene Theorien, unter anderem, das man ihn schon geschnappt hat, aber bevor man das offiziell macht, möchte man noch mögliche Reaktionen besser einschätzen können. Fakt ist, dass er elf Jahre nach Kriegsende immer noch frei ist, und das ist wirklich schockierend. Es sind einfach politische Spielereien, die hier betrieben werden.