Sich Zeit geben
Leben mit Alzheimer
Jederzeit kann der Boden wegbrechen. Der Verlauf des Morbus-Alzheimer-Syndroms ist ein rutschiger Hang, sowohl für die erkrankte Person, als auch für die Pflegenden. Es müssen Ruhestationen und Haltegriffe gefunden werden. Dies ist selten einfach.
8. April 2017, 21:58
Zuletzt erlernt, zuerst vergessen
Kaum eine Krankheit verändert das Wesen eines Menschen so gründlich wie das sogenannte "MAS" - das "Morbus Alzheimer Syndrom". Während die Erinnerung an Namen, Adressen und Wissen immer schwerer abrufbar wird, schwindet das Vertrauen in das eigene Gedächtnis und bald danach der Glaube an sich selbst.
Neben dem Einfühlungsvermögen ist auch viel Wissen beim Pflegenden gefragt. 80 Prozent der alten Menschen, besagt eine Studie, werden von ihren Angehörigen gepflegt, meistens zu Hause. Alzheimer-Patienten gelten im Verlauf ihrer Erkrankung als schwierig. Ihre Angehörigen organisieren sich in Selbsthilfegruppen, organisieren mit Experten gemeinsam Tagesheimstätten und klügeln Urlaubsangebote aus, die beiden Teilen zugute kommen.
Frei- und Zeiträume schaffen
Jeden Mittwoch finden sich im Seniorenwohnheim des NÖ-Hilfswerk in Baden bei Wien, Menschen ein, die an der Krankheit des schleichenden Vergessens leiden. Die Selbsthilfegruppe "Alzheimer Angehörige Baden" mietet den schönsten Raum - ein Panorama-Raum mit Blick über Teile der Altstadt - um den Kranken ein paar Stunden Aufgehobensein zu ermöglichen.
Derzeit sind alle Patienten unter 80, die jüngsten 64 und 65 Jahre alt. Besonders aufmerksam wird darauf geachtet, die Patienten nicht zu kränken und eine familiäre Atmosphäre zu schaffen. Neben dem labilen Selbstwertgefühl sind es gerade die stabilen Werte in der Familie und im Freundeskreis, die so lange wie möglich hochgehalten werden wollen.
Lebenszeit zurückerobern
Die Salzburgerin Christiane Knapp hat die erste Selbsthilfe-Angehörigengruppe in ihrem Bundesland gegründet und sich umgehört, wo und wie man als pflegender Angehöriger eines Alzheimer-Kranken Urlaub machen kann.
Sie hat gemerkt, dass es ihr hilft, mit Menschen in derselben Situation Erfahrungen auszutauschen. Denn bei fortschreitender Krankheit heißt es nicht nur, mehr auf den Gesichtsausdruck und die Körpersprache zu reagieren, man hält sich auch bald für unabkömmlich und will dem Patienten fremde Betreuung gar nicht mehr zumuten. Man fährt einfach nicht mehr weg, obwohl beide Seiten oft dringend Erholung benötigen. Zudem bedeutet drei Tage Urlaub für einen Alzheimer-Patienten mitunter, völlig verlassen zu werden.
Gefühl und Verständnis
Den Patienten nicht das Gefühl geben ausgeliefert zu sein, ihn nicht unter Druck setzen mit Verboten, sagt Peter Dal Bianco, Alzheimer-Experte an der zuständigen Universitätsklinik am Wiener AKH. Auch ein Einsperren macht ihm Angst und führt zu aggressivem Verhalten.
Missverständnisse, hervorgerufen durch das falsch gedeutete Verhalten der Kranken, und schwindende Geduld der Angehörigen beobachtet er regelmäßig.
"Das Schultor des eigenen Gehirns schließt sich mit der Krankheit, während sich das Gefühlstor immer mehr öffnet. Es werden Zusatzantennen ausgefahren und es spiegelt sich die Stimmungslage des Betreuers wider, der ja auch seine Ungeduld, seinen Zorn und seine Überforderung hat. Der eigene Gemütszustand lacht einem entgegen. Das ist sehr wichtig zu beachten. Lieber hinausgehen und schreien und sich ärgern, als ein Gefühls-Ping-Pong mit dem Alzheimer-Patienten zu veranstalten."
Die Kranken sind die Glücklicheren, meint Hildegard Trink von der Badener Alzheimer-Angehörigenhilfe, wenn man es versteht Ihnen glückliche Stunden zukommen zu lassen.
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