Ein avantgardistisches, mutiges Werk
Berlioz' "Symphonie fantastique"
1830 war es kühn, dem Pariser Publikum solche Musik vorzusetzen: Berlioz' "Symphonie fantastique". Ein Vergleich der Interpretationen des Orchestre Révolutionaire et Romantique unter John Eliot Gardiner und den Wiener Philharmonikern mit Valery Gergiev.
8. April 2017, 21:58
"Symphonie fantastique" mit Gardiner und Gergiev
In dieser Ausgabe wird ein Interpretationsvergleich zwischen verschiedenen Aufnahmen von Hector Berlioz' "Symphonie fantastique" sowie ihrer Fortsetzung als Monodram "Lélio, ou Le Retour à la vie", einem Monodrame lyrique, gezogen.
Eigentlich eine Frechheit: 1830 dem Pariser Publikum, das von den Symphonien Haydns und Beethovens fasziniert war, eine Symphonie "vorzusetzen", die eine zutiefst romantische Geschichte in Form einer symphonischen Dichtung nacherzählt. Hector Berlioz' "Symphonie fantastique" trägt den Titel "Episode aus dem Leben eines Künstlers" ("Episode de la Vie dun Artiste") und war der damals neuartige Versuch, weniger durch Strukturen als durch Klangfarben und eine "direkte" Tonsprache Stimmungen und Ereignisse musikalisch zu vermitteln. Da erklingen etwa bei der geträumten Hinrichtung des Künstlers Totenglocken und der "Schlag" einer Guillotine.
Unterschiede in Farbe und Klang
Die unzähligen Aufnahmen dieses avantgardistischen, mutigen Werkes von Berlioz unterscheiden sich weniger in der Tempowahl oder strukturellen Momenten, als in den Farben und Mischungen der Klänge: weich und voluminös bei den Wiener Philharmonikern unter Valery Gergiev, härter, fast spröde beim wie immer ohne Vibrato musizierenden Stuttgarter Radio-Symphonieorchester unter der Leitung von Roger Norrington.
Und mit sehr viel überraschenden, grelleren Klangfarben vor allem bei den Bläsern in der Aufnahme John Eliot Gardiners und dem Orchestre Révolutionaire et Romantique.
Die Kunst der Instrumentation
Berlioz' symphonische Obsession galt vor allem der Kunst der Besetzung, der Instrumentation, der Klangfarben. Ein extremes Beispiel für Berlioz' Vorliebe "für altertümliche Klangfarben" - wie John Eliot Gardiner schreibt - "ist die Verwendung des Serpents zusammen mit vier Fagotten und einer Ophikleide im "Dies Irae" des fünften Satzes.
Das Ergebnis ist eine wunderbar raue, parodistische Klangmelange, ganz anders als die zahmere und schlecht ausgewogene Besetzung mit Tuben und Fagotten, die Berlioz später autorisierte.
Zwei Hör-Beispiele
Im Audiofile kann man den Beginn dieser Passage hören - in der Aufnahme mit dem Orchestre Révolutionaire et Romantique unter der Leitung von John Eliot Gardiner, die bei Philips 1993 erschienen ist. Nach den "Totenglocken", die bei Gardiner hier sehr deutlich, lange verklingend - wie Kirchenglocken - hörbar sind, erklingt die "Dies Irae"-Melodie (eine oft verwendete gregorianische Melodie aus der römischen Messliturgie) mit dem "rauen" schnarrenden Klang des Serpents (ein schlangenförmiges, fagottähnliches Holzblasinstrument).
Im zweiten Beispiel ist der demgegenüber "glatte" Klang einer Besetzung mit Fagott und Tuben zu hören - aus der Aufnahme mit den Wiener Philharmonikern unter der Leitung von Valery Gergiev, 2003 bei Decca erschienen.
CD-Tipps
Hector Berlioz, "Symphonie fantastique", Orchestre Revolutionnaire et Romantique, John Eliot Gardiner, Philips 434 402-2
Hector Berlioz, "Symphonie fantastique", Wiener Philharmoniker, Valery Gergiev, Decca 00289 475 0952
Links
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