Zu viele verschiedene Interessen

Warum Europa das Internet verschlafen hat

Das Internet ist eine amerikanische Erfindung. So steht es in den Geschichtsbüchern. Allerdings waren auch Europäer an der Entwicklung des Internet beteiligt. Trotzdem erfolgte der öffentliche Zugang zum Netz in Europa relativ spät.

23. November 1971. In den Vereinigten Staaten arbeitet man am Arpanet und am Beweis, dass Computer über ein Netzwerk verbunden Informationen austauschen können. In Europa legte die "Cost Group" an diesem Tag 19 europäischen Staaten ein Papier vor, indem der Aufbau eines Europäischen Informatik Netzwerkes festgelegt ist: das so genannte COST 11 Netz.

Cost bedeutet auf Deutsch: Europäische Kooperation für den Bereich wissenschaftliche Recherche und Technik. Wissenschaftsminister aus sieben Staaten unterzeichneten Ende 1971 dieses Papier: Frankreich, Italien, Portugal, Schweden, Schweiz, England und Jugoslawien. 1974 kam noch Norwegen dazu.

Portugal und Jugoslawien überraschen ein wenig: Portugal war damals noch eine Diktatur und Titos Jugoslawien ein kommunistischer Staat.

Ein ehrgeiziger Plan

Der Plan für das europäische Informatik Netzwerk war ehrgeizig: Innerhalb von zwei Jahren sollte ein Prototyp fertig gestellt und das Netzwerk funktionstüchtig sein. Aber es kam anders. Zwei Jahre dauerte es, bis sich die Staaten auf einen technischen Leiter für das Projekt einigen konnten und die Finanzierung geklärt war.

In den USA hingegen hatte man zu dieser Zeit weder finanziell noch bezüglich der Interessen ein Problem: Es war die Zeit des kalten Krieges und der Schock über den erfolgreichen Start des russischen Satelliten Sputnik (1957) saß noch tief. Im Oktober 1972 präsentierte der Amerikaner Bob Kahn auf der ersten internationalen Computerkonferenz in Washington DC das Arpanet.

Es gab mehr als nur das Arpanet

Das Arpanet war damals nicht das einzige Computernetzwerk, das Datenfiles in kleine Pakete aufdröselte und so über ein Netzwerk schickte. Der Engländer Donald Davies, der zeitgleich mit dem Amerikaner Paul Baran die Methode "Packetswitching" erfand, experimentierte seit Ende der 60er Jahre am Nationalen Institut für Physik an einem Netzwerk namens NPL.

In Frankreich gab es die Gruppe rund um Louis Pouzin. Hubert Zimmermann traf auf Louis Pouzin als er gerade im Begriff war in die USA zu ziehen, um Computernetzwerke abseits von der französischen Telekom und des Verteidigungsministeriums kennen zu lernen. Aber es kam anders: Louiz Pouzin überzeugte ihn davon in Frankreich zu bleiben und von hier aus mit den amerikanischen Kollegen an der Entwicklung einer französischen Version des Internet zu arbeiten, an Cyclades.

Datagrams nennt sich die französische Erfindung, die Vint Cerf und Bob Kahn in ihr Protokoll TCP übernahmen und im Mai 1974 präsentierten. Mit TCP und Datagram wurde die Idee einer "End to End" Kommunikation, bei denen die Netzwerke dumm und die Intelligenz an den Enden angesiedelt wurde, verwirklicht.

Dieses Protokoll schrieb aber nicht nur Geschichte, weil damit der Weg für das Internet, wie wir es heute kennen schon fast frei war, sondern auch, weil es bis in die 90er Jahre für heftige Diskussionen sowohl in Europa als auch in den USA und Asien sorgte. Die größte Bedrohung für das Internet sei OSI gewesen, "open systems interconnection", sagte kürzlich der amerikanische Internetpionier Vint Cerf in einem Interview.

Auf der Suche nach einheitlichen Standards

OSI war eine Initiative des Internationalen Standardisierungsgremiums, ins Leben gerufen von den Europäern. Dort sollten die Standards für ein zukünftiges, öffentliches Internet auf internationaler Ebene definiert werden.

In Europa wollten sich weder die Bürokraten, noch die staatlichen Post- und Telegraphengesellschaften dem Diktat einer handvoll junger Amerikaner beugen. In den 70er Jahren war zwar bereits allen bewusst, dass Computernetzwerke nicht wieder verschwinden werden, aber wie sie zu funktionieren hätten, war noch nicht entschieden.

In der neu gegründeten europäischen Arbeitsgruppe "Open System Standards“ ging es nicht mehr nur um Forschung, sondern auch um die Interessen der Computerhersteller, staatlicher Postmonopole und Nationalstaaten. Kein leichtes Unterfangen, deren Interessen unter einen Hut zu bekommen. Der Wettlauf um die Zukunft, um Macht und Geld, sorgte in Europa dafür, dass laufende Projekte entweder ganz eingestellt wurden oder zumindest Personal abgezogen wurde.

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