Das Hauptwerk des Katalanen Antoní Gaudi

Stein gewordenes Gebet

Die immer noch unvollendete Sagrada Familia, Wahrzeichen von Barcelona und Krönung des architektonischen Werks von Antoni Gaudí i Cornet, sollte nach dem Willen ihres geistigen Urhebers ohne Geld der Kirche, nur mit Spendengeldern gebaut werden.

Am Anfang des "Tempels der Heiligen Familie" stand die Idee, eine Kirche zu errichten, die reinster Ausdruck der Frömmigkeit und Sinnbild des Glaubens sein sollte. Jose Maria Bocabella y Verdaguer, Besitzer einer religiösen Buchhandlung und Verfasser christlicher Schriften, wollte diese Votivkirche ohne finanzielle Unterstützung vom Episkopat ausschließlich durch Spenden errichtet und erhalten wissen - eine Idee, die die kirchenoffiziellen Stellen Barcelonas sehr gut fanden.

Villars konventionelle Entwürfe

Der Platz für die Kirche war bald gefunden: in der "Eixample", einem Neubauviertel. Recht konventionell waren die neugotischen Entwürfe des Diözesanarchitekten Francisco de Villar, passend zum schachbrettartigen Grundriss des Viertels, aber das war Bocabella zu einfallslos. Es kam zum Zerwürfnis mit Villar, der prompt die Bauleitung zurücklegte. Wahrscheinlich durch die Empfehlung des Grafen Güell kam der junge Gaudí ins Gespräch, der mit seinen unkonventionellen Bauten schon für Aufsehen gesorgt hatte.

Am 3. November 1883 übernahm der modebewusste und lebenslustige Gaudí, nachdem ihm völlige künstlerische Unabhängigkeit zugesichert wurde, die Leitung der Bauhütte. Im Lauf der sich über 43 Jahre erstreckenden Arbeiten am Heiligen Tempel wurde das zunächst rein berufliche Interesse Gaudís zu einer tiefen Leidenschaft und der "lebensfrohe Dandy" zu einem allein Gott verpflichteten Architekten. Die Kirche selbst geriet zu Größerem als dem Ausdruck einer neuen katalanischen Architektur: Sie wurde zu einem Gesamtkunstwerk, in dem Religion und Architektur auf unnachahmliche Weise zu einem neuen Ganzen werden, in dem selbst die kleinsten Bauteile symbolische Bedeutung haben.

Jede Menge Inschriften

Nicht Würfel, Kugel oder Pyramide zieht Gaudí zur Konstruktion heran, sondern die regelmäßig gekrümmten Flächen des hyberbolischen Paraboloids, des Hyperboloids und des Helicoids, denn, so erläuterte er, "die erste dieser Flächen könnte die Trinität symbolisieren, während die zweite das Licht und die dritte die Bewegung darstellen". Um seine Idee anschaulich zu machen, baute Gaudí - wie schon für frühere Bauten - ein Hängemodell, das die Form des Gemäuers klar werden ließ.

Vorbilder für die Säulen wurde das uralte Symbol für Jesus den Erlöser: die Palmen, und sie ruhen auf dem Rücken von weltentragenden Schildkröten. Abgesehen vom reichhaltigen religiös motivierten Figurenschmuck verwendet Gaudí immer wieder mit Inschriften versehene Bauteile: Über einem durch robuste Säulen geteilten und spiralenförmig angelegtem Fenstersystem zieht sich ein horizontales Mauerband mit der sich wiederholenden Inschrift "Sanctus Sanctus".

Die vier 100 Meter hohen Türme sollten mit venezianischem Glas, glasierten Kacheln und Buntsteinen geschmückt werden, die mit sich wiederholenden Inschriften "Hosanna, Excelsis" verziert sind. Außerdem sollte der Innenraum der Sagrada Família nachts erleuchtet sein, so dass das Licht durch das durchbrochene Mauerwerk nach außen strahlt, als steingewordene Manifestation der Worte Christi: "Ich bin das Licht der Welt."

Arbeiten wie ein Besessener

Nach 1910 nahm Gaudí keine anderen Aufträge mehr an. Er war fast nur mehr in der Werkstatt unter der Sagrada anzutreffen, wo er wie ein Besessener an der Vollendung seines steingewordenen Gebets arbeitete. Eine seiner Hauptsorgen war es, Geldgeber für die Sagrada aufzutreiben, für sich selbst nahm er nichts. Seine Tage liefen ganz geregelt ab: Bis zum späten Nachmittag arbeitete er, dann spazierte er zu einer nahe gelegenen Kirche, um dort die Vesper zu besuchen. Am 27. Juni 1926 wurde er von einer Straßenbahn niedergestoßen und auf Grund seiner ärmlichen Kleidung in das Armenhospital gebracht. Obwohl ihn seine Freunde sehr schnell fanden und zu den besten Ärzten brachten, starb Gaudí drei Tage später.

Sein Mitarbeiter und Freund Sugranyes setzte die Arbeit an der Sagrada getreu Gaudis Plänen fort - bis der Bürgerkrieg, in dem Sugranyes fiel, die Bautätigkeit jäh beendete. Erst seit 1952 wird wieder gebaut.

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Buch-Tipp
"Das Buch der Wunder. Phantastische Erzählungen", Insel Verlag, ISBN 3458172394

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