Strahlender Stern am Opernhimmel
Anna Netrebko
Ein "strahlender Stern", das ist Anna Netrebko. Vor drei Jahren erst bei den Salzburger Festspielen entdeckt, gastiert die 33-Jährige inzwischen an den großen Opernhäusern der Welt. In Salzburg ist sie heuer in "La Traviata" zu hören und zu sehen.
8. April 2017, 21:58
"Anna ist der strahlendste Stern unter den Newcomern", schwärmt der Wiener Staatsopernchef Ioan Holender. "Anna verdient die ganze Aufmerksamkeit. Ich liebe sie - als Künstlerin", bekennt Dirigent Zubin Mehta. "Nach vielen Jahren ist da wieder jemand mit Kraft, Persönlichkeit und Faszination", meint Bogdan Roscic, früherer Ö3-Senderchef und jetzt Vizepräsident des Klassiklabels "Deutsche Grammophon".
Glänzender Glamour-Lack
Auf 250 Seiten versucht Dolak, die kurze Karriere der Anna Netrebko nachzuzeichnen, von der Kindheit in der südrussischen Provinz bis zur Videoclip-Produktion in Salzburg, von der harten Schule des Petersburger Konservatoriums bis zum Open-Air-Spektakel in Berlin. Da wird nicht am glänzenden Glamour-Lack gekratzt, im Gegenteil. Immerhin aber wird für den Leser nachvollziehbar, wie eine junge Frau zum Kunstprodukt wurde.
Dass Anna Netrebko Anna Netrebko wurde, die nur Insidern bekannte Sopranistin ein gefeierter Opernstar, hängt mit ihrem ersten Auftritt bei den Salzburger Festspielen zusammen. In der "Don Giovanni"-Neuinszenierung von 2002 war die Rolle der Donna Anna vakant. Dirigent Harnoncourt wollte partout, dass eine junge Russin, ursprünglich für die Rolle der Magd Zerlina vorgesehen, sich einmal an dieser Partie versucht. Die, von der Idee zunächst wenig angetan, ließ sich schließlich überreden. Das Resultat muss eindrucksvoll gewesen sein. Dolak, um flotte Sprüche nie verlegen, spricht von einem "musikalischen Schlüsselreiz", einem "unvergesslichen Ohrenschmaus", einem "Sesselfessler", einem "Meisterwerk in sich selbst", für das ihn nur Worte wie "beispiellos" und "berückend eindringlich" einfallen.
Schrille Farbtupfer
Leider versäumt es der Musikjournalist, Timbre, Klang und Temperament der "Superdiva" auch nur mit einem Satz zu erläutern, das Außergewöhnliche dieser Stimme auch mit fachlichen Termini zu beschreiben. Dolak gefällt sich in Formulierungen mit Schlagzeilencharakter. "Primadonna Anna", die "Stimme der Zukunft". Damit das Primadonnen-Bildnis nicht mit freundlich-nettem Rosarot ermüdet, fügt Dolak ein paar schrillere Farbtupfer hinzu. "Sex macht mir Spaß", "Oper ist eine sexuelle Kunst", ist "gesungenes Bettgeflüster" verkündete Anna Netrebko in Interviews und gestand, im Liebesakt mit Don Giovanni versuche sie immer, einen Orgasmus zu singen. Und im Gespräch mit ihrem Biografen verriet sie, was seitdem gern und oft zitiert wird: "In meinen Träumen singe ich nackt".
Anna Netrebko, die Gregor Dolak selten Anna Netrebko, sondern vorzugsweise "Bella Anna", "Donna Anna", "Primadonna", "coole Diva", "Superdiva", Wundersopranistin", "hippe Opernprinzessin" oder "weltweit gefeierte "Stimm-Celebrity" nennt, ist längst ein Marketingprodukt. "Ich glaube, dass die eigentliche große Herausforderung für sie erst noch bevorsteht", meint Gregor Dolak. "Jetzt hat sie die Chance und die Möglichkeit, eine große Künstlerin zu werden. Da muss sie sich ein bisschen an der Marketing-Front zurücknehmen und viel mehr in ihre künstlerische Entwicklung investieren."
Nur für Fans
"Der Schein bestimmt das Sein. Der äußerliche Eindruck, den jemand hinterlässt, ist oft viel wichtiger als das, was aus ihm herauskommt", sagt Anna Netrebko im Gespräch mit Gregor Dolak. Wo allerdings bei ihr diese Grenze verläuft - zwischen Schein und Sein, zwischen öffentlichem und privatem Leben -, das vermag auch Dolak, der doch nichts weniger wollte als den "authentischen Star" präsentieren, nicht deutlich zu machen, zu sehr bewundert er die "Superdiva".
Seine Biografie mag manches Zitat wieder in Erinnerung rufen, das der Porträtierten heute peinlich ist, ein kritischer Blick auf Leben und Werk ist sie deshalb noch lange nicht. Das muss auch nicht sein, ein sachlicher würde schon genügen.
Buch-Tipp
Gregor Dolak, "Anna Netrebko. Opernstar der neuen Generation", Heyne Verlag, ISBN 3453120167