Popmärchen

Müsste man Klavier spielen können?

Die Streitfrage, ob Pianisten "richtige“ Rock 'n' Roller sein können, ist bis heute die Gretchenfrage der Pop-Musik. Eingefleischte Gitarristen trauen Pianisten auf diesem Gebiet nicht wirklich. Der Pianist Ben Folds bewegt sich auf diesem heiklen Terrain.

Ben Folds aus "Songs for Silverman"

"Wie kann man eine Band ohne Gitarristen aufmachen? Wie ist das möglich? Sie sollten ihren Namen ändern, von 'Keane' zu 'Trottel'!" Der Oasis-Rüpel Noel Gallagher hatte wieder einmal zugeschlagen, als er vor kurzem in einem Interview die englischen Newcomer "Keane" (von denen hier allerdings nicht mehr gesprochen wird) verhöhnte. Vielen gestandenen Rockern sind Bands ohne laute Gitarren einmal von vornherein suspekt.

Rock Piano - Ein geschichtlicher Abriss

Dabei war das keineswegs immer so. Niemand würde ernsthaft behaupten, dass "Tutti frutti“ von Little Richard oder "Great Balls of Fire“ von Jerry Lee Lewis keinen Rockappeal haben. Die Boogie-Woogie-Tradition war ein entscheidender Impulsgeber für die Rock-'n'-Roll-Welle in den fünfziger Jahren. Dieses im wahren Sinne des Wortes Pianofortespiel hat aber eigentlich nur wenige Nachahmer gefunden, abgesehen von einigen uninspirierten Epigonen, welche die Hits von damals ohne das Feuer der Originale nachspielen.

Zwischen Genie und Wahnsinn

Heutzutage hat sicher eher das Klischeebild des Klavierspielenden Schnulzenheinis verfestigt, der mit seichten Popballaden Mädchenherzen betört. Ein Bild, das natürlich so nicht stimmt: Man denke nur an großartige Pianisten wie Randy Newman oder Tom Waits.

Dennoch ist dieses vorher erwähnte Bild nicht ganz ohne Grund entstanden: Der nicht selten akademisch gebildete Pop-Pianist neigt bisweilen dazu, gefährliches Halbwissen in Klassik und Jazz dem arglosen Zuhörer zu präsentieren. Das eher unsägliche Genre des Klassik-Rock lässt sich unschwer als eine Keyboarderidee denunzieren.

Der englische Autor Giles Smith wiederum meint, dass das Hauptproblem des Pianisten sei, dass er mit seinem Arbeitsgerät einfach nicht mobil genug sei und nicht die Showmöglichkeiten eines outrierenden E-Gitarristen hätte. Es gäbe auf der ganzen Welt so genannte Luftgitarrenwettbewerbe, bei denen Leute pantomimisch berühmten Gitarristen nacheiferten. Er habe aber noch nie von einem Luftkeyboardwettbewerb gehört…

Ben-Folds-Songs for Silverman

Größerer Sexappeal der E-Gitarre hin oder her, wie ist nun die neue CD des hauptberuflichen Pianisten und Sängers Ben Folds ausgefallen? Gitarren-Stalinisten können einmal etwas beruhigt sein, es gibt ein paar Gitarrenspuren auf dieser Aufnahme, die allerdings im Hintergrund bleiben.

Nun, die Platte ist wohl mehr Roll als Rock, also eher etwas ruhiger geworden. Es gibt kein zweites "Rockin' the suburbs“, der Indiepop-Hit, den Folds vor einigen Jahren hatte. Ben Folds singt stattdessen Songs über seine Tochter oder seinen verstorbenen Songwriterkollegen Elliot Smith. Die Texte sind sehr persönlich und bisweilen ziemlich witzig, musikalisch vermeine ich immer wieder die "Beach Boys" durchzuhören. (Auch Brian Wilson hat viele seiner großartigen Songs auf dem Klavier geschrieben.) Am besten gefällt mir interessanterweise der mit Abstand schmalzigste Song mit dem bezeichnenden Titel "Sentimental Guy“. Man kann eben nicht immer der harte Rocker sein…

CD-Tipp
Ben Folds, "Songs for Silverman“, Epic Records EPC 5170122

Link
Ben Folds