Beobachtungen von Elise Penzias
Der Riese auf der Wiese
Als Hundebesitzerin in der Großstadt sind mir weitläufige Parkanlagen für ausgedehnte Spaziergänge äußerst willkommen. Meine "Hunderunde" führt mich regelmäßig an einem Prachtexemplar von einem Baum vorbei. Vor allem seine Rinde hat es mir angetan.
8. April 2017, 21:58
Der Ferienbegriff meiner Kinderjahre ist fest mit dem Garten meines Großvaters verbunden, mit krumm gewachsenen Apfelbäumen und Tomatenstauden auf dem Misthaufen, mit dem sauren Geschmack viel zu grüner Stachelbeeren. Ich spüre heute noch das feuchte Gras und den Schlamm zwischen den nackten Zehen, wenn ich mir, über den Brunnenrand gebeugt, die zitternden Beine der Weberknecht-Communities angesehen habe. Auch Wassertrinken aus der hohlen Hand gehörte zu den Ferien, das laute Summen der Bienen in der Sonne und der Schmerz beim Vorbeistreifen an Brennnesselblättern.
Im Garten habe ich viel Zeit damit zugebracht, mich gründlich zu wundern. Ich erinnere mich an lange Momente ausgiebigen Staunens, in denen alles still zu stehen schien: Wundern über die nasse Biene, die das Gewitter in der Rosenknospe überlebt hatte oder über den Zitronengeruch und die Schönheit einer großen weißen Yuccablüte, die sich nur im Mondlicht öffnete.
Mitten im Park
Dieses Gefühl habe ich neulich wieder entdeckt. Unvermutet ist es über mich hereingebrochen, mitten in einer öffentlichen Parkanlage. Ich habe es nicht bemerkt noch kommen gesehen. Ich begleitete meinen Hund auf seiner Morgenrunde. Ich schritt - das Kot aufnehmende Plastiksäckchen in Bereitschaft - neben ihm über den dichten englischen Rasen. Nicht ganz erlaubt, gewiss, den Vierbeiner von der Leine zu lassen wäre es noch weniger gewesen.
So blieb mir der Genuss, auf den einzigen Baum der Wiese zuzuschreiten, einem Laubbaum von ungeheurer Größe. Aufrecht und gerade gewachsen mit symmetrisch weg gestreckten Ästen, die sich im unteren Bereich ausladend herab biegen.
Wie Elefantenhaut
Mein Blick fiel beim Näherkommen auf seinen hellgrauen glatten Stamm. In diesem Augenblick meldete sich dieses längst vergessene Gefühl des Staunens: Die glatte Rinde des Riesen hatte sich für das Austreiben der Äste jeweils in Falten und Wülste gelegt. Rund um jeden Astansatz sah es so aus, als hätte sie sich - wie Elefantenhaut - zurückgezogen, um die junge Zweigspitze durchbrechen zu lassen.
Ich kontrollierte es von nächster Nähe, legte die Hände an die Rinde. Ja wirklich, jeder dieser Wülste erinnerte auffällig an die Hautfalten und Wülste an Knien und Ellenbogen der Dickhäuter! Ich war so baff, dass mit nichts anderes mehr auffiel. Nicht das Laub, das zwetschkenblaue, nicht die typischen gezackten Blattränder, schon gar nicht hielt ich nach Früchten Ausschau. Ich war überzeugt, eine seltene, exotische Baumart gefunden zu haben. Einen 15 Meter hohen Baumriesen mit geheimnisvoller Elefantenhaut. Warum, fragte ich mich, sollte es nicht möglich sein, einen altehrwürdigen Exoten zu treffen in einer ebenso alten Parkanlage am Stadtrand?
"Tier"ische Rinde
Wochenlang blieb "er" der Höhepunkt des Hundespaziergangs. Jeden Tag kam ich von einer anderen Seite, um sein blau schillerndes Laubdach genießen zu können. Das Staunen über den "tier"ischen Eindruck seiner Rinde ließ nicht nach. Zu Hause zog ich immer wieder das Lexikon aus der Bücherwand - über die Qualität von elefantenhautähnlicher Baumrinde wusste es nichts. Überhaupt war die Beschaffenheit der Stämme heimischer und exotischer Hölzer kaum einen Nebensatz wert.
Erst die Begleitung einer Natur-gebildeten Freundin zerbrach den Bann. Ihr kurzer Blick von fern ließ mein exotisches Prachtexemplar augenblicklich zu einer schönen, aber nicht ungewöhnlichen Blutbuche schrumpfen. Von der bizarren Form der Rinde war aber auch sie beeindruckt.
Übersicht
- Natur