Geschichten aus dem Dritten Reich
Wenn die Lichter ausgehen
1937 emigriert Erika Mann als erstes Mitglied der Familie Mann in die USA. Dort schrieb sie antifaschistische Kinderbücher und einen großen Prosatext: "The Ligths Go Down" erschien 1940. Nun hat der Rowohlt Verlag Erika Manns Buch neu herausgegeben.
8. April 2017, 21:58
Erika Mann kann und will keine begnadete Stilistin in der Nachfolge ihres Vaters Thomas Mann sein. In ihrem Buch geht es daher um die reale und daher realistische Darstellung des Nazi-Alltags in einer mittelgroßen bayerischen Stadt. Als Grundlage hat Erika Mann Zeitungsartikel, Rechtsverfügungen, Ansprachen von Nazi-Größen gesammelt und rund um diese ihre Geschichten entwickelt. Man kann also sagen, alle Erzählungen in "Wenn die Lichter ausgehen" haben einen Tatsachenkern. Es werden Menschen und ihre Schicksale exemplarisch vorgeführt, die durch die lügenhafte und repressive Politik der Nazis erst langsam begreifen, dass sie sich alles andere als in einem zukunftsfrohen Staat befinden.
Eine in sich geschlossene Gesellschaft
Erika Manns Geschichten spielen Mitte der 30er Jahre, also vor dem Weltkrieg. Der Schauplatz ist eine mittelgroße bayerische Stadt mit altem Marktplatz, urigen Gaststätten, einem modernen Krankenhaus und Universität. In elf Erzählungen lässt sie exemplarisch einige Stadtbewohner auftreten und erzählt ihr Schicksal im Dritten Reich. Da die Protagonisten einer Geschichte auch in anderen als Nebenfiguren auftreten, ergibt sich für den Leser das Bild einer in sich geschlossenen Gesellschaft.
Da lernt man gleich zu Beginn des Buches Frau Murks kennen, eine glühende Verehrerin des Führers und verantwortlich für die Luftschutzübungen. In einer späteren Erzählung steht dann Frau Murks im Zentrum des Geschehens. Ihr älterer Sohn Max ist Seemann auf einem deutschen U-Boot. Es ist knapp vor Weihnachten und Frau Murks erwartet sehnsüchtig die Rückkehr von Max. Aber an seiner statt erscheint ein anderer Marinesoldat und überbringt schlechte Nachrichten: Max ist erschossen worden. Da ja noch nicht Krieg ist, ist er nicht durch Feindeshand gefallen, sondern wurde von ein paar SA-Männern liquidiert. Max hatte an einer Versammlung regimekritischer Arbeiter teilgenommen. Das ist Grund genug. Und dies ist Grund genug dafür, dass Frau Murks ins Koma fällt. Und damit setzt eine neue Erzählung ein, in deren Mittelpunkt der Star-Chirurg Professor Scherbach steht.
Dass Frau Murks einen Gehirnschlag erlitten hat, erkennt er sofort. Und um ihrem Leiden eine Ende zu setzen, verabreicht er ihr eine Überdosis Morphium. Zuvor spricht er zu der einst glühenden Hitler-Verehrerin die Worte:
"Wir sind alle schuld daran", sagte Professor Scherbach und beugte sich über sie. "Ich bin hier geblieben, um Ihnen zu sagen, dass ich das weiß."
Die Mitschuld am Gang der Geschichte
Erika Mann geht es in ihrem Erzählungsband "Wenn die Lichter ausgehen" nicht um die große Frage nach Schuld und Sühne. Vielmehr beschreibt sie realistisch und auf Tatsachen aufbauend die Schuldhaftigkeit von Menschen, die sich von der NS-Propaganda verzaubern ließen oder ihr gleichgültig gegenüber standen - und damit den schrecklichen Gang der Geschichte beförderten.
"Wenn die Lichter ausgehen" sollte Pflichtlektüre in den Schulen sein, egal ob in Deutschland oder Österreich. Erika Manns Botschaft ist jedem Leser sonnenklar: Wer diktatorische und menschenverachtende Politik duldet, der kann zwar selbst Opfer dieser Politik werden, doch mit befördert hat er sie auch.
Buch-Tipp
Erika Mann, "Wenn die Lichter ausgehen. Geschichten aus dem Dritten Reich", neu übersetzt von Ernst-Georg Richter, Rowohlt Verlag, ISBN 3498044966