Weil ich Taxifahrer bin, höre ich Ö1

Marcin Bieniada, Taxifahrer

Martin Bieniada, geboren in Polen, heute Taxifahrer in Wien, hat in den 80er Jahren die aufkeimende Fremdenfeindlichkeit in Österreich am eigenen Leib erlebt. Dank Österreich 1 hat er jedoch mittlerweile auch "den besseren Teil von Österreich kennen gelernt", wie er sagt.

Warum ich Ö1 höre? Das war zuerst Ende der 80er Jahre die Stimme von Axel Corti, die hat mich fasziniert, ich kannte aus Polen dieses Niveau von Radio nicht - die Gespräche im polnischen Radio waren nie so tiefsinnig. So, wie Axel Corti vom Judentum gesprochen hat oder von echten Pazifisten, das war für mich neu. Das hat mich interessiert, da spürte ich, ich bin meiner Zeit voraus, ich bin anderen Polen gegenüber im Vorteil, weil ich Ö1 hören kann.

"Im Gespräch", "Salzburger Nachtstudio", "Ex libris" höre ich regelmäßig. Auf eine Ö1 Sendung muss man sich konzentrieren - oder man muss abschalten. Am Standplatz, zwischen neun und zehn Uhr am Abend, da ist immer eine Lücke im Geschäft, da sind die Leute im Café oder im Theater, das ist eine gute Zeit, Ö1 zu hören. Und anders als im privaten Leben werde ich auch nicht abgelenkt. Im Taxi habe ich keine Wahl - da muss ich entweder Ö1 hören oder Bücher lesen. Somit kann man sagen: Weil ich Taxifahrer bin, höre ich Ö1.

Ohne Taxifahren wäre ich nicht dazugekommen. Wenn ein Fahrgast zusteigt? Dann schalte ich normalerweise automatisch aus. Aber es gibt auch die Ö1 Hörer unter den Fahrgästen und die hören gerne zu. Es gibt auch Fahrgäste, die unbedingt Musik hören wollen. Und "Musik" heißt für sie nie Musik von Österreich 1.

Wie Ö1 auf mich wirkt? Ich habe dank Österreich 1 den besseren Teil von Österreich kennen gelernt. Denn in den 80er Jahren war ich von dieser Gesellschaft sehr enttäuscht. Ich habe hier in der Nacht viele aggressive Menschen erlebt, man sagte z. B. in einem Streit zu mir: "Solche wie dich müsste man vergasen." Das war für mich etwas Neues, solche Gespräche habe ich in Polen nicht gekannt. Und dank Österreich 1 habe ich festgestellt, es gibt auch ein anderes Österreich.

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Lukas Beck