Österreichische Opern-Erstaufführung

Ein mitunter unverstandener Komponist

Einojuhani Rautavaara gilt als wichtiger zeitgenössischer Komponist. Im Gegensatz zu manchen seiner finnischen Kollegen kommt er aber bei der Kritik Mitteleuropas schlechter weg. Peter Kislinger beleuchtet Rautavaaras jüngst in Wien aufgeführte Oper "Das Sonnenhaus".

Am 4. November fand im Jugendstiltheater auf der Baumgartner Höhe in Wien die Österreichische Erstaufführung der 1991 uraufgeführten zweiaktigen Oper "Das Sonnenhaus" von Einojuhani Rautavaara, einer Kooperation der "Musikwerkstatt Wien" mit dem "Konservatorium Wien", statt.

Die insgesamt fünf Aufführungen dieser "Tragedia Buffa in 2 Akten" des mittlerweile 76-jährigen Finnen waren durch diese Kooperation zustande gekommen. Ö1 hat Teile des zweiten Aktes mitgeschnitten. Ausschnitte daraus sind in diesem "Zeit-Ton"-Beitrag zu hören.

Rautavaara, ein Unverstandener

Es gibt Komponisten, die schreiben eigentlich immer nur dasselbe Stück. Dann gibt es Komponisten, denen "Stil völlig egal" ist, wie Kalevi Aho aus Finnland bei einem Symposion in der Wiener Staatsoper provokant formulierte. Werkstil wird dann leicht mit Personalstil verwechselt, sie riskieren Unverständnis.

Dies gilt für das Schaffen des 1928 in Helsinki geborenen Einojuhani Rautavaara. Im Gegensatz zu seinen finnischen Landsleuten Magnus Lindberg, Kaija Saariaho und Esa-Pekka Salonen (der Generation nach ihm) kommt er bei der mitteleuropäischen Kritik vergleichsweise noch immer schlecht weg.

Ein Libretto aus der Realität

Das Libretto zu "Das Sonnenhaus" (1991) beruht auf einer wahren Begebenheit und stammt vom Komponisten. Eine russische Familie flieht vor der Oktoberrevolution 1917 nach Helsinki und findet das "Sonnenhaus" (im Finnischen "Auringon talo"). Wirkliche Heimat wird es ihnen nicht.

Physisch überleben die Emigration bloß die Zwillingsschwestern. Aus deren Sicht, und in deren Bewusstseinshaus, wird das Geschehen musikalisch präsentiert. In einer Mischung aus erstarrter Schönheit und sich ansammelndem Unrat führen sie ein isoliertes Leben. Briefträger, Sozialhelferin und Rechtsanwalt sind Boten aus der Außenwelt, die sie in ihre Traum- und Scheinwelt integrieren, das Haus, in dem ihre Sonne nicht untergeht.

Die ambivalente Kraft des Erinnerns

Nicht ums Vergessen, nicht um Alzheimer, nicht um soziales Mitleid mit an den Rand gedrängten alternden Menschen oder um den Umgang mit Flüchtlingen geht es Rautavaara in diesem Libretto und in der Musik - das ist naturalistisches Unterfutter.

Was interessiert Rautavaara? Die ambivalente Kraft des Erinnerns, die "Kugelgestalt der Zeit", die "Ver-gegen-zunft", in der wir alle leben.

Nostalgische Klänge für die Welt der Schwestern

Gestus und "Stil" der Musik sind den Themen völlig bewusst angepasst. Die Musik transportiert die Hörer in die Welt der Schwestern. Also ist die Musik an der Oberfläche meist nostalgisch, romantisierend und voller riskanter Wiederholungen - riskant, weil dem Komponisten als Geschwätzigkeit ausgelegt werden kann, was dramaturgische Funktion hat.

Wir hören Menschen am Ende ihres Lebens, die sich nicht von einem Gedanken lösen können oder wollen - dementsprechend selbstverliebt bis zur Obsession in die einmal gefundene Formulierung, etwas weinerlich, raunzend, wehklagend, larmoyant auch die Musik. "Mut zur Schönheit" und "endlich wieder schöne Musik"?

Wohlklang nicht als Selbstzweck

Auch was positiv wertend gemeint ist, verfehlt das Werk (genauso wie der Vorwurf des "Kitsches", der vor allem am Finale geortet worden ist), das auf einer Zwölftonreihe beruht (was aber ein Unbefangener nicht bemerkt und auch nicht wissen muss); "Schönheit"" und Wohlklang sind nicht Selbstzweck, auch nicht "schmerzende Musik" (die einem Kritiker als Kriterium guter moderner Musik galt).

Die Kantilenen der beiden Russinnen, die sich nicht von ihrer Vergangenheit lösen wollen, weil diese eine schöne Zukunft versprach, orientieren sich am russisch-orthodoxen Kirchengesang.

Kritiker-Kritik an "arroganter Haltung"

Dass ein Wiener Musikkritiker dem Komponisten herablassend-nachsichtig eine Stilmelange aus Wagner, Sibelius, Strauss und Debussy attestierte, veranlasste beim Symposion "Der Finnische Operboom" den 1949 geborenen Komponisten Kalevi Aho in einem brillanten Referat zu einer scharfen Attacke. Ausdruck einer "arroganten Haltung", sei das, ein Beispiel für "Kulturimperialismus und letztlich zutiefst provinzielle Gesinnung."