Zwischen Ostsee und Haff
Die Kurische Nehrung
Die Optik der schmalen Halbinsel in Litauen ist durch endlos erscheinende Sanddünen und ausgedehnte Kiefernwälder geprägt. Thomas Mann entdeckte die Kurische Nehrung bereits in den 1920er Jahren und verglich die weiße Küste mit Nordafrika.
8. April 2017, 21:58
"Man findet einen erstaunlich südlichen Einschlag. Das Wasser des Haffs ist im Sommer bei blauem Himmel tiefblau. Es wirkt wie das Mittelmeer. Es gibt dort eine Kiefernart, Pinien ähnlich. Die weiße Küste ist schön geschwungen, man könnte glauben in Nordafrika zu sein."
Tatsächlich befand sich Thomas Mann, als er diese Zeilen niederschrieb, auf der Kurischen Nehrung in Litauen.
Die Kurische Nehrung ist eine schmale Halbinsel, die von Königsberg bis Klaipeda, dem einstigen Memel, reicht. Sand, endloser, feiner kilometerweiter Sand und ausgedehnte Kiefernwälder - davon ist dieser natürliche Damm geprägt.
Wanderdünen und versandete Dörfer
Entstanden ist die Halbinsel in vorgeschichtlicher Zeit durch Sandanspülungen aus dem Meer. Durch das damals recht milde Klima breitete sich eine reiche Vegetation mit Eichen, Birken und Fichten auf der Landzunge aus.
Vor etwa 4.000 Jahren wurde das wildreiche Gebiet auch von baltischen Stämmen besiedelt, von Kuren, Zemaiten und Semben. Durch den Ritterorden gelangten auch Deutsche auf die Nehrung.
Im Gegensatz zu den Kuren, die als Fischer lebten, fanden die Deutschen als Bauern ihr Auskommen. Zu Beginn des 16. Jahrhunderts und etwas später, während des Siebenjährigen Krieges (1756-1763) begann man mit der Rodung des ursprünglichen Waldes, um Holz für den Schiffsbau und zum Heizen zu gewinnen. Dadurch geriet das ökologische Gleichgewicht der Halbinsel ins Wanken und die nun ungeschützten Dünen waren der Erosion preisgegeben und begannen zu wandern.
Thomas Manns Sommerdomizil
Im Sommer flirrt die Luft in der wüstenartigen Landschaft, deren schmalste Stelle nur 400 Meter breit ist. Die imposantesten Wanderdünen Europas breiten sich hier aus.
Etwa 60 Meter hoch ist die "Hohe Düne", ganz in der Nähe des Ortes Nida. Diese hat nicht nur Thomas Mann beeindruckt:
Kennen Sie die Dünen auf Sylt? Man muß sie sich verfünffacht denken, man glaubt, in der Sahara zu sein. Der Eindruck ist elementarisch und fast beklemmend, weniger wenn man sich auf den Höhen befindet und beide Meere sieht, als in den tiefen eingeschlossenen Gegenden. Alles ist weglos, nur Sand, Sand und Himmel.
Thomas Mann verbrachte den Sommer 1929 in Rauschen, das heute im sowjetischen Teil der Nehrung liegt, und besuchte den damaligen Geheimtipp Nidden, das heutige Nida.
In den 1920er Jahren hatte sich Nida zur Künstlerkolonie entwickelt. Viele Maler wie Max Pechstein, Ernst Ludwig Kirchner und Ernst Mollenhauer trafen sich im Gasthaus von Hermann Blode. Auch Thomas Mann war vom Ambiente des kleinen Ortes Nidden so angetan, daß er sich entschloss, etwas außerhalb des Ortes auf einem Hügel sein Sommerhaus, ganz im Stil der Fischerhäuser, errichten zu lassen.
Vom Sommerhaus zum Kulturzentrum
Nur drei Sommer konnte Thomas Mann mit seiner Familie in Nida verbringen. Nach der Machtübernahme Hitlers im Jahr 1933 musste Thomas Mann emigrieren. Inzwischen ist das Haus zu einem kleinen Museum und einem Thomas-Mann-Kulturzentrum umgestaltet worden, in dem alljährlich Thomas-Mann-Tage mit Diskussionen, Kammermusikkonzerten und Lesungen stattfinden.
Es wurde viele Jahre von Vitalija Teresé Jonusiene geleitet. Sie ist die Ehefrau von Eduardas Jonusas, einem litauischen Künstler, der während der Sowjetzeit vom KGB verfolgt wurde.
Die Kurische Nehrung als Rückzugspunkt
Eduardas Jonusas, der seine litauische Herkunft nicht verleugnete, wurde in der 1950er Jahren als "Spion" und antisowjetischer Agitation zu 25 Jahren Haft und fünf Jahren Verbannung verurteilt. Nach fünf Jahren Arbeitslager in Sibirien wurde er nach dem Paragrafen "Gefängnishaft nicht sinnvoll" entlassen, stand aber bis 1991 unter Beobachtung. Deshalb verließ er auch die Stadt Klaipeda und zog sich mit seiner Frau auf die Kurische Nehrung, nach Nida zurück.
Dort arbeitete er wesentlich an der Renovierung der berühmten Holzkreuze des Niddener Friedhofes mit und schnitzte auch einige Holz-Skulpturen für den sogenannten Hexenberg, der 1979/1980 entstand.
Auf einer bewaldeten Anhöhe beim Ort Juodkrante gestalteten einige namhafte litauische Bildhauer Figuren und Szenen aus der litauischen Mythologie als Holzfiguren und Statuen. Als Symbol für die Freiheit und die Sehnsucht nach Unabhängigkeit.
Hör-Tipps
Hörbilder, Samstag, 14. März 2009, 9:05 Uhr
Mehr dazu in oe1.ORF.at
Mehr zu allen Sendungen des Programmschwerpunkts "Nebenan: Litauen" finden Sie hier.
Links
Kurische Nehrung
Nationalpark Kurische Nehrung (englisch)
Thomas-Mann-Kulturzentrum
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