Das Leben der Flugpioniere Wright
Die Eroberung des Himmels
James Tobin lässt in seinem Buch den mühseligen Beginn der Luftfahrt lebendig werden und erinnert uns, die wir heute ohne viel nachzudenken in ein Flugzeug steigen, an das große Abenteuer, das die Fliegerei in ihren Anfängen vor hundert Jahren war.
8. April 2017, 21:58
Man schreibt das Jahr 1899, Wilbur ist 32, sein Bruder Orville 28 Jahre alt. Sie arbeiten in einem Fahrradladen, beide sind unverheiratet. Mit 17 Jahren hatte Orville Wright in wenigen Wochen eine funktionierende Druckerpresse aus einem Haufen von Abfallteilen gebaut, darunter waren das Faltdach einer Pferdekutsche, ein unbenutzter Grabstein und ein Stapel Brennholz. Und Wilbur, der nach einem Sportunfall als Jugendlicher keine weitergehende Ausbildung mehr anstrebte, vertrat dennoch als junger Mann sehr erfolgreich seinen Vater, einen Bischof der Kirche der Vereingten Brüder in Christus, in einer komplizierten Rechtssache.
Von den Vögeln lernen
Wilbur und Orville Wright waren junge Männer aus gutem Haus, denen Bildung, Hartnäckigkeit, Höflichkeit und ein gewisses Grundvertrauen in die eigenen Ziele und Fähigkeiten mitgegeben worden war. Nachbarn in Kitty Hawk beschrieben, wie die beiden stundenlang an der Küste nichts anderes taten, als den Vögeln zuzusehen. In ihrer Werkstatt waren sie unansprechbar, bei ihren Flugexperimenten draufgängerisch und vorsichtig zugleich.
Der Tag des Triumphes
Kitty Hawk in North Carolina, wegen seiner günstigen Thermik heute ein Eldorado für Drachenflieger, wurde am 17. Dezember 1903 zum Ort des größten Triumphs der Gebrüder Wright:
Um 10 Uhr 36 zwängte sich Orville in den Führerstand und löste das Seil. Während Wilbur mit der linken Hand an der rechten Flügelspitze neben der Maschine herlief, polterte sie vorwärts und erreichte eine Geschwindigkeit von 12 oder 13 Stundenkilometern. Plötzlich tat sich zwischen den Fichtenholzkufen und dem kleinen einrädrigen Wagen, der auf der Schiene entlangrollte, ein Zwischenraum auf. Aus 1 Zentimeter wurden 30, 60, 1 Meter. Wilbur, der immer noch rannte, sah die Maschine sehr plötzlich etwa 3 Meter hoch aufsteigen. Dann sank sie genauso plötzlich, und stieg erneut.
Draht, Holz und Baumwolle
Das war, wie Orville später sagte: "der erste Flug, bei dem eine Maschine mit einem Menschen an Bord sich aus eigener Kraft zu einem richtigen Flug in die Luft erhob, ohne Geschwindigkeitsverminderung vorwärts flog und schließlich an einer Stelle landete, die ebenso hoch war wie der Ausgangspunkt."
Das benützte Fluggerät hieß Wright Flyer, und bestand aus Draht, Holz und einem Baumwollgewebe, das damals vor allem der Herstellung von Damenunterwäsche diente. Den 275 Kilo schweren Doppeldecker, angetrieben von einem 62 PS starken Vierzylindermotor, hatten die Brüder in jahrelanger einsamer Tüftelarbeit ersonnen und gebaut.
Das große Abenteuer Fliegen
Orville und Wilbur schrieben noch mit einer anderen Entwicklung Luftfahrtgeschichte: die Kombination aus Höhen- und Querruder, mit der sie ihr Fluggerät navigationsfähig machten, ist heute noch ein unverzichtbarer Bestandteil jedes Jets.
James Tobin hat offenbar eine riesige Menge an Details ausgegraben und verarbeitet: Korrespondenzen, Aufzeichnungen, Zeitzeugenberichte, wissenschaftliche Veröffentlichungen, Biografien von Freunden, Konkurrenten und Feinden. Der Autor lässt in seinem Buch den mühseligen Beginn der Luftfahrt lebendig werden und erinnert uns, die wir heute ohne viel nachzudenken in ein Flugzeug steigen, an das große Abenteuer, das die Fliegerei in ihren Anfängen vor hundert Jahren war.
Und: Die Beschreibung der Beziehung zwischen Orville und Wilbur gehört zum Spannendsten des Buches, vor allem da James Tobin diesbezüglich auf eher kryptische Quellen angewiesen war, sich aber trotzdem nicht zu psychologisierenden Überinterpretationen hat hinreißen lassen. Das gibt seiner der Darstellung der beiden Flugpioniere einen ganz eigenen, lapidaren Reiz.
Buch-Tipp
James Tobin, "Die Eroberung des Himmels", Droemer/Knaur Verlag 2003, ISBN 3426273144