Jugend heute
Du liebst mich, du liebst mich nicht
Wie auch schon bei seinen vorhergehenden Büchern gelingt Jonathan Lethem in seinem neuen Roman eine grandiose Mischung von comichaften Szenen und der authentischen Beschreibung menschlicher Debakel. Im Mittelpunkt steht eine namenlose Band.
8. April 2017, 21:58
Jonathan Lethem erfindet Figuren - markant, unterhaltsam und unverkennbar - die man allesamt gerne kennen lernen würde oder eben: keinesfalls kennen lernen möchte. Es ist diese leichte Überzeichnung, die seine Figuren ausmacht, und die Jonathan Lethem als Autor auszeichnet.
Skurrile Einfälle
Lucinda, Bassistin einer vierköpfigen Band ohne Namen und Auftrittsmöglichkeiten, ist die Hauptfigur des 250-seitigen Romans. Der verschroben-intellektuelle Gitarrist Bedwin kauert auf seinem Stuhl, weil er sich nicht im Stehen spielen traut, und die resolute Schlagzeugerin Denise kümmert sich darum, dass alle Instrumente funktionieren und Bedwin zumindest einmal am Tag was zu Essen bekommt.
Jonathan Lethem jongliert mit amüsanten Ideen, aus denen andere Autoren ganze Bücher machen - ein skurriler Einfall folgt dem nächsten:
Er hob die Hand: "Sir? Unser Gitarrist braucht einen Stuhl!"
Bedwin nickte verschämt.
"Und außerdem", fuhr er fort, "würde ich lieber auf dem Boden liegen."
"Bist du krank?" fragte Denise.
"Nein, es ist wegen der Songs. Können wir ein Mikro auf den Boden stellen? Ich muss auf dem Boden singen."
"Dann kannst du aber nicht Keyboard spielen", sagte Denise.
"Ihr braucht mich nicht am Keyboard."
Dem konnte keiner widersprechen.
"Ich muss auf dem Boden liegen, um in die richtige Stimmung zu kommen. Ich bin gerade zu der Erkenntnis gelangt, dass ich der Band nicht alles gegeben habe. Kunst fordert Opfer, selbst die eigene Würde."
Die ganz normale Schaffenskrise
Er wollte über Menschen in ihren Zwanzigern schreiben, sagt Jonathan Lethem, über diesen zögerlichen Lebensabschnitt, wo das Sich-Selbst-Erfinden mit dem Vortäuschen Hand in Hand gehe. Nur wenige Bücher vermitteln dieses Gefühl des Schaffen-Wollens so gut, verbunden mit den Schwierigkeiten, die dahinterstecken. Wir haben Lucinda, die von einer Liebesbeziehung in die nächste torkelt. Oder die namenlose Band, die in einer kleinen Wohnung zusammengekauert an ihren Songs bastelt. Oder Falmud, der Künstler, der immer nur beobachtet, nie selber beteiligt sein will. Er veranstaltet eine "Aparty", eine Party, wo man "apart" ist, also getrennt voneinander, mit einem Buffet, das nicht angerührt werden darf und einer Band, die lautlos spielt. Doch als die Gäste einfach meutern und es zu einer ganz gewöhnlichen Sauf- und Tanzveranstaltung machen, ist er am Boden zerstört. Die Welt versteht ihn nicht.
Genau das ist es auch: Versteh mich, nimm mich ernst, hör mir zu. Die ganz normale Schaffenskrise der Generation Praktikum, wie sie im Fast-Food-Lokalen jobben, in Call-Centers ihre Energien sparsam aufbrauchen, damit am Abend, in den miefigen Kellern und abgefuckten Lofts noch ein bisschen was übrig bleibt für den einen Song, der sie groß machen könnte.
Wem gehört ein Song?
Und um mit der Welt in Kontakt zu treten, lassen sich seine Figuren im Roman "Du liebst mich, du liebst mich nicht" so allerhand einfallen. Der Künstler beispielsweise eröffnet eine Nörgel-Hotline, ein Kunstprojekt, bei dem noch nicht sicher ist, was mit all den eingelangten Beschwerden und Nörgeleien passieren soll. Lucinda wird dort Telefonistin, gerät an einen äußerst interessanten Nörgler - und verwendet seine Wortkreationen ungefragterweise als Liedtexte für ihre Band.
Beim ersten Auftritt steht der Nörgler plötzlich vor der Bühne und möchte mitmachen – schließlich sind es seine Texte, die zu Songs wurden. Und je mehr er sich zwischen Sänger und Bassistin drängt (geografisch wie auch liebestechnisch gesehen), desto mehr verstricken wir uns untergründig in eine Geschichte über geistiges Eigentum, über die schwierige Frage: Woher kommt denn eigentlich Kreativität? Kann man in postmodernen Zeiten überhaupt noch etwas Eigenes schaffen? Und wie viel "gehört" wem bei einem Song?
Überzeugend
Der umtriebige Jonathan Lethem hat diese Frage aus dem Korsett der zwei Buchdeckel befreit und ins richtige Leben geholt: Auf seiner Website sind Liedtexte zu finden, die er in den vergangenen Jahren geschrieben hat und Bands und Musikern gratis zur Verfügung stellt. Als Notiz schreibt er: "Ich bilde mir nicht viel darauf ein, aber vielleicht hat ja jemand Verwendung dafür."
Und mit spätestens diesem Satz hat er mich völlig überzeugt. Sollte der Titel des Buchs als Frage irgendwann also noch mal auftauchen, kann ich aus voller Überzeugung sagen: Jonathan Lethem, keine Sorge: Ich liebe deine Geschichten.
"Das Buch der Woche" ist eine Aktion von Ö1 und Die Presse.
Hör-Tipps
Kulturjournal, Freitag, 8. Juni 2007, 16:30 Uhr
Ex libris, Sonntag, 10. Juni 2007, 18:15 Uhr
Mehr dazu in oe1.ORF.at
Buch-Tipp
Jonathan Lethem, "Du liebst mich, du liebst mich nicht", aus dem Englischen übersetzt von Michael Zöllner, Tropen Verlag, ISBN 978-3932170980