Bekehrung eines Haydn-Muffels

Warum in die Ferne schweifen

Manchmal, wenn ich bei uns so durch die Gegend fahre, denke ich mir: "Wahnsinn, ist das schön bei uns! Du lebst, wo andere Menschen Urlaub machen." Und manchmal, wenn ich einen österreichischen Musiker höre, denke ich: "Welt-Spitzen-Klasse!"

Ganz ehrlich. Ich ziehe meinen Hut vor Ihnen allen, Ihr österreichischen Künstler und Virtuosen - doch, ich trage Hüte! Nur im Moment nicht, im Moment sitze ich mit kühl-nassem Kopf in meinem noch erträglich-heißen Arbeitszimmer. Obwohl, als Arbeitgeberin müsste ich mir eigentlich frei geben, das Thermometer hinter mir zeigt 31 Grad, und das um knapp nach neun Uhr.

Ich hätte es doch in die Zugluft hängen sollen, aber heute gibt es keine Zugluft bei mir heroben unterm Dach - und ich hätte am liebsten 17 Wochen lang die Möglichkeit, zur Mittagzeit ein Fünfzig-Minuten-Porträt von jedem von Ihnen zu machen. Aber so sind es halt nur vier (plus ein Kanadier), und ich habe sie nicht ganz zufällig ausgewählt.

René Clemencic und sein Consort haben mich schon begeistert, als ich gerade zu studieren begonnen habe. Ich hatte mich damals, war ja mein erstes Jahr, in die frühe Musikgeschichte hineingestürzt, mich durch Noten und Nachrichten mittelalterlicher und gotischer Musik gewühlt, alte Tabulaturen in heute übliche Notenschrift übertragen und mich gefragt, wie das wohl geklungen haben kann. Die iso-rhythmischen Motetten waren für mich auf dem Klavier nicht zu bewältigen, und das, was ich mir da so zusammenbuchstabiert habe, hörte sich nicht wirklich attraktiv an. Und was an den mittelalterlichen Tänzen, die in einer einzigen Stimme notiert waren, die Menschen zum wilden, ja frenetischen Tanzen gebracht haben könnte, war mir auch nicht ganz klar. Bis ich das Clemencic Consort hörte.

Letztes Jahr hatte ich das Vergnügen, René Clemencic kennen zu lernen, aber davon mehr am 24. Juli. Von Stefan Vladar, der seinen Auftritt "bei mir" am 23. Juli hat, hab ich auch eine Menge witziger Geschichten erfahren, zum Beispiel wie es dazu kam, dass er mit Seiji Ozawa musizierte, oder wie er den Sprung zum Dirigenten geschafft hat.

Mit Haydn konnte ich eigentlich nie viel anfangen. Das muss ein typischer "Schul-Schaden" gewesen sein. Kennen Sie das, einen "Schul-Schaden"? Das ist etwas, von dem man in einer absolut langweiligen Schulstunde gelernt hat, ohne Zusammenhänge zu kennen oder erklärt zu kriegen, ohne irgendeine andere emotionale Bindung aufbauen zu können außer "urfad". Haydn, das waren die blöden "Ha-ha"-Geschichten von der ach so witzigen Paukenschlag-Sinfonie, der ebenso witzigen "Abschiedssinfonie" und der nahezu peinliche Kaiserhymne samt Quartett. Prüfung machen (ja, damals war das noch so!), abhaken, vergessen, nie mehr wieder drum kümmern. Punkt. Aber dann kam das Haydn Trio Eisenstadt und hat mich Haydn-Muffel bekehrt!

Xavier de Maistre hatte ich zuerst als Buch. "Reise um mein Zimmer". Erinnerte mich ebenfalls an meine jungen Jahre, damals hatte mir ein Freund "Reise um den Tag in 80 Welten" von Julio Cortazar geschenkt, eine absolut seltsame Lese-Erfahrung: Cronopien und philosophierende Katzen, Thelonius Monks Reise um das Klavier und ein Rezept "Wie man ein Mädchen im Hemd zum Tanzen bringt". Die "Reise um mein Zimmer" ist ähnlich verrückt, wenn auch etwa 180 Jahr älter. Und dann stolperte ich über Xavier de Maistre, Harfenist. Mehr dazu am 26. Juli.

Und am Tag danach der Kanadier: Marc-André Hamelin. Er spielt Werke von Komponisten, von denen ich gar nicht wusste, dass es die gibt. Ja, auch ich habe meine Wissenslücken. Aber ich arbeite am Verkleinern derselben!

Mehr zu "Ö1 bis zwei" in oe1.ORF.at
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Hör-Tipp
Ö1 bis zwei, Montag, 23. Juli 2007 bis Freitag, 27. Juli 2007, 13:00 Uhr

Buch-Tipps
Xavier de Maistre, "Reise um mein Zimmer", aus dem Französischen von Caroline Vollmann, Zweitausendeins, ISBN 9783861505624

Julio Cortazar, "Reise um den Tag in 80 Welten", Suhrkamp, ISBN 3518415905

Links
René Clemencic
Stefan Vladar
Haydn Trio Eisenstadt
Carinthischer Sommer - Xavier de Maistre
Wikipedia - Xavier de Maistre (in franz. Sprache)
Hyperion Records - Marc-André Hamelin