Eine Zweiklassengesellschaft?

Lebensraum Schule

Die Schule soll reformiert werden. Nur, wie das geschehen soll, darüber herrscht seit Jahrzehnten Dissens. Diese ideologisch begründete Pattstellung hat mittlerweile zu einem weitgehenden Auseinanderbrechen des österreichischen Schulsystems geführt.

Die Lernwerkstatt im Wasserschloss Pottenbrunn in Niederösterreich ist eine Privatschule, in der es keinen festen Stundenplan gibt. Die Kinder lernen, was sie wollen und wann sie wollen. So soll die Lust am Lernen erhalten und gefördert werden. Wenn es ist völlig klar ist, dass österreichische Kinder deutsch sprechen lernen, ohne dass sie einen Lehrer brauchen, warum sollen sie jemanden für Mathematik brauchen? Der Erfolg der Schule scheint dieser provokanten These Recht zu geben.

Der Trend zur Privatschule

Den Trend in Richtung Privatschulen bestätigt auch der Leiter des Fachbereiches für Erziehungswissenschaft an der Universität Salzburg, Ferdinand Eder. "Die nicht konfessionellen Privatschulen beschreiten oft neue Wege, die zum Teil in das Regelschulsystem übernommen werden. In vielen Volksschulen gibt es heute zum Beispiel keine fixen Unterrichtseinheiten mehr, die mit Pausenglocken beginnen oder enden."

Das österreichische Schulsystem scheint - im Gegensatz zu dem vieler anderer Länder - reformresistent zu sein. Ferdinand Eder nennt dafür einige Gründe: "Das österreichische Bildungssystem ist in einem Ausmaß von Interessen der Standesvertreter durchzogen, wie das nur wenige andere auf dieser Welt sind. In Österreich gibt es keine Bildungspolitik, sondern Lehrerstandespolitik". Dass sich diese so weit entwickeln konnte, dass viele Reformansätze schon im Keim erstickt werden, liegt laut Eder an der ideologischen Unbeweglichkeit der Großparteien. Durch diese sei ein bildungspolitisches Vakuum entstanden, das die Standesvertreter für sich genutzt und instrumentalisiert hätten.

Die Trennung von Begabten und Unbegabten

Die Wurzeln der ideologischen Gegensätze in der Bildungspolitik liegen nach Meinung des Bildungswissenschafters in der ebenfalls ständischen Struktur unseres Landes verankert. Zumindest ein Teil der Gesellschaft will demnach, dass das Gymnasium eher den höheren und die Hauptschule eher den niederen gesellschaftlichen Schichten vorbehalten ist und bleibt. Um dies sicherzustellen, wird in Österreich als mittlerweile beinahe einzigem Land in Europa die frühe Trennung von Kindern in "Begabte" und "weniger Begabte" vorgenommen. Dass diese Trennung, weitgehend unsinnig und für die Lebenschancen kontraproduktiv ist, belegen mittlerweile zahllose internationale Studien.

Dass Argumente für die Beibehaltung des derzeitigen Systems wider besseren Wissens, nach wie vor auf fruchtbaren Boden fallen, liegt laut Eder neben ideologischen Dogmen auch in der Einstellung der Eltern begründet. "Eltern sind konservativ und nur am Output interessiert. Weil die meisten von ihnen glauben, dass die AHS ihren Kindern die größte Chance bietet, soll das System nicht verändert werden."

Keine Leistungsüberprüfung der Lehrer

Ein weiteres Grundübel unseres Schulsystems ist für den Bildungswissenschafter, dass es in Österreich keine außen stehende Instanz gibt, die die Leistungen der Lehrer regelmäßig überprüft. Externe Leistungsbeurteilungen von Schüler und Schülerinnen würden hier zum Beispiel Abhilfe schaffen.

Im Gegensatz zu vielen andern Ländern kann in Österreich beinahe jeder Lehrer werden. Dieses System führe dazu, so Eder, dass oft nicht die am besten Geeigneten diesen Beruf ergreifen. "Der Leidensdruck bei den Eltern ist groß. Nach außen hin wird das Schulsystem zwar verteidigt, weil man Angst hat, dass die Kinder negative Aussagen durch schlechte Noten büßen müssen. Privat wird aber viel über das Schulsystem geschimpft."

Dass, trotz der neuen Schulversuchszonen, weitgehend alles so bleiben wird wie es bisher war, ist wohl zu erwarten. Denn seit Jahrzehnten einzementierte Ideologien, Pfründe und Strukturen lassen sich nicht schnell verändern.

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Radiokolleg, Montag, 3. September bis Donnerstag 6. September 2007, 9:30 Uhr